Die Rache des Stalkers
Diskussionsforum. Auch hier hatte er das Passwort gespeichert, sodass sie sich mit seiner Identität durch die verschiedenen Seiten klicken konnte. Das Forum diente den Nutzern als Plattform, um unter dem Deckmantel einer Diskussion über Brutalität in Büchern und Filmen Gewaltfantasien auszutauschen.
Aufgrund der ersten E-Mails zwischen Picasso und Altermann vermutete sie, dass sich die beiden persönlich nicht gekannt hatten. Waren sie in diesem Forum aufeinandergestoßen? Sie öffnete die Liste mit den registrierten Diskussionsteilnehmern, die derzeit online waren. Altermanns Name war nicht aufgeführt. Dafür entdeckte sie eine Mitteilungsoption des Programms, die sie benachrichtigen würde, falls sich ein bestimmter Nutzer ins Forum einloggte. Anja gab den Nickname ein und beschloss, den Laptop die nächsten Stunden nicht auszuschalten.
Da Zander alias Picasso ansonsten keine Spuren im Internet hinterlassen hatte, wandte sie sich vom Computer ab und ging zum Fenster. Sie kontrollierte die Umgebung, ohne Franks Auto auszumachen. Vermutlich hatte sie ihm mit ihrer letzten Aktion zu viel Angst eingejagt, als dass er sich noch einmal in ihre Nähe traute.
In diesem Moment klingelte das auf dem Schreibtisch liegende Diensthandy und übertrug eine ihr unbekannte Mobilfunknummer.
»Hübner!«
»Hallo«, sagte ein Mann mit einer angenehmen Stimme. »Jürgen König hier. Störe ich Sie?«
Unwillkürlich schlug Anjas Herz schneller. »Nein. Überhaupt nicht. Wie geht es Ihnen?« Augenblicklich beschimpfte sie sich innerlich als dumme Kuh. Was war das für ein blöder Gesprächseinstieg, nachdem sie ihn erst heute Nachmittag getroffen hatte?
»Sehr gut. Und Ihnen? Kommen Sie mit dem Fall voran?«
Anja trat vom Tisch weg und stellte sich wieder ans Fenster. »Das ist wie ein Puzzle«, erklärte sie. »Manchmal fehlt einem nur das eine richtige Stück, um endlich Fortschritte zu erzielen. Genau nach diesem Teil suche ich gerade.«
»Ich hatte noch nie Kontakt zu einer Polizistin. Von Verkehrskontrollen abgesehen.«
»Und ich noch nie zu einem Schriftsteller.«
»Ach, das ist keine große Sache«, wehrte König ihre in der Stimme mitschwingende Bewunderung bescheiden ab. »Ich schreibe Sachbücher und Artikel über Wirtschaftsthemen. Ein Krimiautor wäre doch für Sie interessanter.«
»Nicht unbedingt. Krimis erlebe ich im wahren Leben genug. Meinen letzten habe ich vor vier Jahren gelesen. Ist Ihnen jemand eingefallen, der eventuell die Identität Ihres Vaters nutzt?«
»Nein«, antwortete er. »Deswegen rufe ich –«. König stockte. »Warten Sie bitte?«
Anja hörte ein gedämpftes »Was?«. Sprach er mit seiner Frau? Ehe sie den Gedanken zu Ende gedacht hatte, war er wieder am Hörer.
»Darf ich in fünf Minuten noch einmal anrufen?«
»Klar. Bis gleich.«
Unruhig lief Anja in ihrer Wohnung auf und ab. Dieser Mann löste ein fast vergessenes Flattern in ihrem Bauch aus. Sie spürte das Bedürfnis nach einer behaglicheren Atmosphäre. Weswegen auch immer er sich meldete, sie wollte das folgende Telefonat genießen. Aus dem Wohnzimmerschrank holte sie einen dreiarmigen Kerzenständer und zündete die darin steckenden Kerzen mit einem Streichholz an. Dann nahm sie aus dem Kühlschrank eine kleine Flasche Prosecco, schüttete ein Sektglas voll und löschte die Deckenlampe. Nun wurde das Zimmer lediglich von dem warmen Kerzenschein und dem Leuchten des Computerbildschirms erhellt.
Kaum hatte sie sich auf die Couch gesetzt, klingelte das Telefon.
»Alles geklärt?« Anja fixierte eine der flackernden Flammen.
»Ja. Meine Tochter schläft heute Nacht bei mir und wollte Mineralwasser ans Bett gestellt bekommen.«
»Ist Ihre Tochter oft bei Ihnen?«
»Sie schläft zweimal die Woche bei mir, und wenn ich Zeit habe, hole ich sie nach der Schule für ein paar Stunden zu mir. Meine Exfrau ist voll berufstätig und ich kann mir meine Arbeitszeit relativ flexibel einteilen.«
Das Flattern in ihrem Bauch verstärkte sich. Exfrau klang verheißungsvoll. »Hört sich nicht so an, als hätte es bei Ihrer Scheidung einen hässlichen Rosenkrieg gegeben.«
»Nein. Wir sind auch bei der Trennung wie Erwachsene miteinander umgegangen. Und Sie? Wundert sich gerade ein Ehemann darüber, mit wem Sie telefonieren?«
»Ich habe vor einiger Zeit eine Beziehung beendet«, entgegnete Anja. Er musste ja nicht unbedingt wissen, dass es erst wenige Tage her war.
»Hoffentlich rufe ich nicht zu einem ungünstigen Zeitpunkt an.
Weitere Kostenlose Bücher