Die Rache des Stalkers
absolut gepflegte Karosserie. Die ersten Schaulustigen näherten sich ihnen. Trotzdem spürte er das Bedürfnis, einfach auf sie loszustürmen.
»Sieh dir diese Scheiße an!«, fluchte er. »Das ist deine Schuld!«
»Lass mich endlich in Ruhe!«, fauchte Anja.
»Ist das alles, was du zu sagen hast?«
Sein Hass wuchs ins Unermessliche. Er wollte sie sofort zur Rechenschaft ziehen, wusste aber nicht, ob sie ihn wieder mit der Dienstwaffe in Schach halten würde. Sein zwischenzeitlich gekauftes Springmesser lag im Handschuhfach.
»Nein!«, fuhr sie fort. »Falls ich dich noch einmal bei mir auf der Straße sehe, erstatte ich Anzeige.«
Frank deutete auf den Blechschaden. »Dafür wirst du bezahlen!«
»Du bist ein Idiot. Das hättest du dir ersparen können, wenn du dich einfach mit unserer Trennung abgefunden hättest.« Kopfschüttelnd wandte sie sich ab und stieg in ihren Wagen ein.
»Dafür wirst du bezahlen!«, schrie er, doch sie rollte bereits rückwärts die Straße entlang. Nun musterte er die Schaulustigen, die diese Szene amüsant fanden.
»Was grinst du so dämlich?«, blaffte er einen Jugendlichen an. »Verpiss dich gefälligst!«
Schmunzelnd ließ der Junge ihn stehen. Nur mühsam konnte Frank Tränen der Wut unterdrücken. Alles in ihm verlangte nach Rache.
18
Während sie den dunkelroten Lippenstift auftrug, dachte sie an Frank. Fast tat er ihr leid. Anja wusste, wie sehr er sein Fahrzeug pflegte und wie sorgsam er damit umging.
Sie beschloss, ihn morgen anzurufen, um ihm ein Friedensangebot zu unterbreiten: Unter der Bedingung, dass er das Ende ihrer Beziehung endlich akzeptierte, wäre sie bereit, sich zur Hälfte an den Reparaturkosten zu beteiligen.
Nun galt ihre Konzentration jedoch dem vor ihr liegenden Abend.
Vom Badezimmer aus begab sie sich ins Schlafzimmer, wo sie ein letztes Mal ihr Outfit kritisch überprüfte. Anja hatte sich für ein langes, dunkelrotes Kleid entschieden, in der Annahme, dass auch Jürgen einen einigermaßen vorzeigbaren Anzug tragen würde. Das eng geschnittene Kleidungsstück betonte unaufdringlich ihre weiblichen Rundungen.
Zufrieden stellte sie fest, dass ihr der eigene Anblick gefiel; eine wichtige Voraussetzung für eine gelungene Verabredung.
»Manchmal frage ich mich, ob jeder Schritt in meiner Vergangenheit richtig war.« Jürgen nippte an seinem Weinglas. Entgegen den landläufigen Ratschlägen für das angemessene Verhalten beim ersten Rendezvous hatten sie über gescheiterte Beziehungen philosophiert und dadurch einiges voneinander erfahren. Die meiste Zeit hatte ihr Gegenüber geredet, sodass Anja Frank nur vage erwähnt hatte. Jürgen gehörte zu der Sorte von Männern, die etwas zu sagen hatten und ihre Gefühle nicht hinter einem massiven Schutzwall verbargen.
»Liebst du deine Tochter?«
»Mehr als alles andere auf dieser Welt.«
»Dann hast du nicht viel falsch gemacht.«
Der Kellner trat an ihren Tisch und servierte auf Kosten des Hauses einen Verdauungsschnaps. Sie stießen mit den kleinen Gläsern an und Anja kippte den Schnaps in einem Zug hinunter. Als sie auf ihre Uhr sah, überraschte es sie, dass es bereits kurz nach Mitternacht war. Seit mehreren Jahren hatte sie keinen derart angenehmen Abend erlebt. Dieser Mann schien ihr perfekt zu sein, beinahe zu perfekt. Er war attraktiv, geistreich, humorvoll. Konnte sie wirklich so viel Glück haben?
Den Tipp, niemals Sex nach dem ersten Date zu haben, würde sie bedenkenlos in den Wind schlagen.
»Stört dich das Wissen, dass ich eine Polizistin bin?«
»Ich war noch nie mit einer zusammen. Also kann ich das nicht beurteilen.«
Ihr Herz machte Freudensprünge. Offensichtlich war er interessiert. »Unregelmäßige Dienstzeiten«, warnte sie ihn, »nächtliche Einsätze, Tote, die in meinem Kopf herumspuken. All das gehört zu mir.«
»Apropos, was hat es mit dieser Ermittlung auf sich, bei der du meinen Vater aufgesucht hast?«
Anja umriss die letzten Monate ihres Jobs. Torben Zander und seine Opferauswahl. Wie sie ihm dank der Beobachtung eines Kellners und seiner eigenen Fehler auf die Spur gekommen waren und wie er bei dem Unfall den Tod gefunden hatte. Sie berichtete von ihrem Bedürfnis, die Akte erst zu schließen, wenn sie die Leichen ausfindig gemacht hätten. Danach erzählte sie von dem Auftauchen einer Person namens Altermann, dem Mord an Julia Volk und ihrer Vermutung, der Falsche säße in Untersuchungshaft, die von einem Richter genehmigt worden war.
Jürgen König
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