Die Rache des Stalkers
weilten bei Jürgen. Sie fragte sich, wann er ihr seine Tochter vorstellen und wie sie sich verstehen würden. Hoffentlich empfand Lara sie nicht als Bedrohung im Hinblick auf die Zuneigung ihres Vaters.
Ob er sich weiteren Nachwuchs wünschte? Oder hatte ihn eine gescheiterte Ehe vorsichtig werden lassen?
Obwohl sie ihn erst vor einer halben Stunde verlassen hatte, fehlte er ihr bereits. Sollte sie ihn anrufen? Der Akku ihres Handys war aufgeladen und im Handschuhfach lag ein am Zigarettenanzünder anschließbares Ladekabel. Aber vielleicht hielt er sie für aufdringlich, falls sie sich jetzt meldete. Würde er überhaupt abheben, wenn das Telefon in ihrer Wohnung klingelte? Wahrscheinlich nicht. Andererseits konnte sie ihn über sein eigenes Mobiltelefon erreichen. Da wurde ihr bewusst, seine Nummer bislang nicht gespeichert zu haben. Anja griff nach ihrem Portemonnaie und holte seine Visitenkarte heraus.
Jürgen König. Freier Journalist und Buchautor.
Das klang verdammt gut. Und sie hatte diesen Kerl an Land gezogen.
Anja tippte seine Rufnummer in ihr Handy. Als sie das Gerät wieder in die Kfz-Halterung steckte, bemerkte sie, dass Jürgen auf der Karte keine postalische Anschrift vermerkt hatte. Nur seinen Namen, seine berufliche Tätigkeit, die Mobilfunknummer, einen Faxanschluss und die Adresse seiner Homepage. In ihren Augen wirkte die Visitenkarte unvollständig, ähnlich wie bei der von Zander, wo ihr sofort die fehlende Telefonnummer aufgefallen war. Sie beschloss, Jürgen nachher darauf anzusprechen. Eventuell gab es für einen Journalisten gute Gründe, keine Adresse aufzuführen.
Plötzlich vernahm sie ein Klicken und die Tür ihres Wagens ging auf. Erschrocken drehte Anja ihren Kopf zur Seite. Hatte Lübbert so lange gewartet, um ihr den Streich heimzuzahlen?
Jemand presste einen weißen Lappen auf ihr Gesicht und sie atmete einen süßlichen Geruch ein. Chloroform, dachte sie verzweifelt, während sie nach ihrem unsichtbaren Angreifer schlug. Ihre Hände verfehlten das Ziel und sie wurde schwächer. Den kleinen Stich in ihren Arm nahm sie kaum wahr.
23
Rebecca Odermatt gab etwas Reinigungsfluid auf das Wattepad. Eine zweieinhalbstündige Probe lag hinter ihr und den anderen Teilnehmern der Laienspielgruppe. Für eine am übernächsten Wochenende stattfindende Premiere galt es, langsam auf der Bühne das richtige Timing zu finden.
Mit dem getränkten Wattepad begann sie, sich die Schminke aus dem Gesicht zu entfernen, und bemerkte dabei im Spiegel, dass sie von Manuela beobachtet wurde. Rebecca zwinkerte ihr zu.
Eine hübsche Frau, dachte sie und registrierte aufmerksam Manuelas Lächeln.
***
Er blickte auf die Uhr. Zwanzig vor elf. Die ersten Schauspieler hatten gerade die Schule verlassen und waren zu ihren in der Nähe geparkten Autos gelaufen. Er stand etwa einhundert Meter entfernt und hatte eine Laterne ausgetreten, um nicht gesehen zu werden.
Wann kam Rebecca endlich?
***
Außer der Regisseurin hielten sich nur noch Manuela und Rebecca in der provisorischen Umkleidekabine auf.
»Mädels, beeilt euch. Spätestens in fünf Minuten taucht der Hausmeister auf und sperrt uns ein.«
Rebecca packte ihr Kostüm sorgfältig in eine Tasche und griff nach ihrer Jacke.
»Bist du mit dem Fahrrad gekommen?«, fragte Manuela.
»Na klar. Wie jede Woche.«
»Können wir ein Stück gemeinsam fahren? Ich finde es durch den Park etwas unheimlich.«
Rebecca lächelte. Gegen eine nette Begleitung hatte sie nichts einzuwenden. »Gern.«
»Offensichtlich powert ihr euch im Laufe der Probe nicht genug aus«, meinte die schwergewichtige Regisseurin, während sie an der Tür wartete. »Andernfalls würdet ihr nicht freiwillig mit dem Rad hierherkommen. Und dabei wart ihr fast drei Stunden ununterbrochen auf den Beinen.«
»Mein Wagen steht in der Werkstatt«, erklärte Manuela, der Röte ins Gesicht stieg, verlegen.
***
Die Schultür ging ein weiteres Mal auf und er sah Rebecca zusammen mit zwei Weibern aus dem Gebäude treten. Eine der Frauen watschelte Richtung Parkplatz davon, doch noch immer war das Objekt seiner Begierde nicht allein. Zu seinem Entsetzen machte sich das andere Miststück an dem zweiten, vor der Schule stehenden Fahrrad zu schaffen.
Das durfte nicht wahr sein, fluchte er. Er hatte sie schon oft beobachtet und immer war sie allein nach Hause gefahren. Warum änderte sie ausgerechnet heute ihre Routine?
Für einen Moment spielte er mit dem Gedanken, seinen Plan zu
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