Die Rache. Thriller.
machte rasch hintereinander eine Reihe von Fotos. Sie waren dunkel und unscharf, aber sie waren etwas, das sie Duncan zeigen konnte.
Sie legte die Kamera und den Skizzenblock weg und hob den Feldstecher auf. Die Dunkelheit breitete sich rasch aus, und sie machte sich einen Augenblick lang Sorgen, daß sie sich bei ihrem Rückweg durch den Wald verirren könnte. Dann schob sie diese Angst von sich und beobachtete wieder das Haus. Bist du da, Tommy? Sie versuchte sich zu konzentrieren, hineinzusehen in das Haus und die Gegenwart ihres Sohnes zu spüren. Gib mir doch ein Zeichen. Zeig mir etwas! Sie wollte seinen Namen rufen, aber sie unterdrückte diesen Impuls, biß sich fest auf die Lippen, bis sie Blut schmeckte. Plötzlich sah sie in einem Raum eine Bewegung und starrte in die Richtung. Es wurde drinnen Licht angeschaltet, und eine Millisekunde lang sah sie eine Gestalt.
Es war Bill Lewis. Sie wußte es sofort: Der schlaksig schlurfende Gang des Kerls war gar nicht zu verwechseln.
Dann, genauso schnell, war die Gestalt wieder verschwunden.
Sie wollte schreien.
Sie ließ das Fernglas fallen, packte die Pistole und fing an, über die Mauer zu klettern, dachte an nichts anderes, als daß ihr Sohn in diesem Farmhaus sein mußte.
Ich komme, rief ihr Herz. Ich komme!
Aber sie hielt gerade in dem Augenblick an, als sie mit dem Bein über die Mauer setzen wollte. Sie schwankte einen Augenblick hin und her, von ihrer unendlichen Sehnsucht gezogen und von ihrer Vernunft zurückgeris-sen. Schließlich warf sie sich hinter der Mauer zu Boden.
Sie japste nach Luft und brauchte eine Weile, um sich zu beruhigen. Sie versuchte ihre Chancen den drei bewaffneten Entführern gegenüber rational einzuschätzen und erkannte, daß sie minimal waren, selbst wenn man das Überraschungsmoment mit einkalkulierte.
Für einen Moment schloß sie die Augen und sammelte die Energie, die sie brauchte, um nach Haus zurückzufahren. Sie suchte verzweifelt nach einem Weg, wie sie ihrem Kind mitteilen konnte, daß sie zurückkommen würde zu ihm, aber sie wußte, daß es keinen gab.
Als sie die Augen aufschlug, sah sie ihre Fotos und die Skizzen und nahm ihren Zeichenstift. Bleib ruhig, warnte sie sich selbst. Nimm die wichtigsten Dinge auf. Du kommst wieder hierher. Sie hob den Kopf und zeichnete alle Details der Umgebung des Hauses auf, die sie erkennen konnte, und fertigte einen so genauen Plan an, wie es ihre aufgeregte Hand und die hereinbrechende Nacht erlaubten.
Dann nahm Megan das Fernglas und suchte das Haus noch einmal ab. Sie konnte niemanden darin sehen, keinerlei Bewegung. Aber das besagte gar nichts. Ich weiß, du bist da, dachte sie.
Sie flüsterte: »Tommy, ich komme.«
Sie versteckte den Revolver wieder unter ihrem Parka und packte ihre Sachen ein. Dann zwang sie sich, auf den Knien in der Dunkelheit durch die stachligen Büsche zurückzukriechen. Aber während sie dahinkroch, redete sie leise mit sich selbst und hoffte, daß ihre Worte die Kraft hätten, durch den Himmel aufzusteigen, die Wände des Gefängnisses zu durchdringen, ungehört an den Bewachern vorbeizuschlüpfen, ihr Kind zu finden und leise in seinen Ohren zu klingen: »Tommy, ich komme. Hörst du mich? Ich hole jetzt Daddy, und wir kommen wieder und bringen euch nach Haus. Wir kommen.«
Megan zog sich durch den Wald zurück, allein, entschlossen und von Kampfeslust durchdrungen.
KAPITEL 11
Sonntag abend
Duncan schritt wütend durchs Haus. Seine Füße fühlten sich an, als säßen sie im Treibsand fest. Er wollte sie losreißen, etwas anderes tun, als immer weiter nur warten.
Wellen der Angst drückten ihm auf den Magen. Er warf einen Blick auf die Armbanduhr, auf das stille Telefon, zum Fenster hinaus in die Dämmerung und in die hereinbrechende Finsternis, dann wieder zurück auf seine Töchter, die wortlos dasaßen und ihn beobachteten.
»Wo, zum Teufel, ist eure Mutter?« fragte er.
Karen und Lauren antworteten nicht.
»Ich halte es nicht mehr aus«, sagte er. »Sie läßt uns hier hängen, und Christus weiß, was passiert ist.«
»Sie ist okay«, sagte Lauren. »Ich weiß, daß sie okay ist.«
»Mach dir keine Sorgen, Dad«, sagte Karen. »Sie kommt wieder.«
Und wo zum Teufel ist Olivia, dachte er. Die Ironie seines Schicksals berührte ihn: Ich warte auf die beiden Frauen, die mir geblieben sind: Megan und Olivia.
Zwischen beiden gefangen.
Er spürte, daß sich etwas in ihm löste, als ob die Spannung nun zu einem Ausbruch drängte.
Weitere Kostenlose Bücher