Die Rache
Dinge erwähnt, die er vom Gefängnisdirektor erfahren hatte – die Angaben bezüglich Louis’ Entlassung und daß er ein vorbildlicher Häftling gewesen sei. Wenn Rusty aus Furcht dort angerufen hatte, um herauszufinden, ab wann er sich ernsthaft Sorgen machen mußte – hätte er sich dann auf eine Diskussion darüber eingelassen, was für ein Mann aus Louis Baker geworden war? Wenn man auf Schienen gefesselt ist und den Zug heranrasen sieht, fragt man sich dann, ob er Güter oder Personen transportiert?
Hatte er zweimal in San Quentin angerufen? Und wenn ja: Was war dabei?
Lange starrte Harry auf das stumme Telefon und tat weiter gar nichts.
Dann rief er an. Er sprach mit vier Beschäftigten, wahrscheinlich Häftlingen, erzählte ihnen, er sei Staatsanwalt – wahr genug – und daß es um Louis Baker gehe, bevor er endlich mit Jack Hazenkamp, dem Direktor, verbunden wurde. Hardy war Hazenkamp in seiner Funktion als Bezirksstaatsanwalt ein paarmal begegnet und hatte mit ihm über die Bedingungen im Gefängnis, die Rückfallquote und das Übliche gesprochen. Hazenkamp war lange beim Militär gewesen, aber in ihren Gesprächen hatte Hardy ihn als erstaunlich … nun, nicht gerade als liberal, aber als sehr verständnisvoll erlebt. Er packte die ihm anvertrauten Häftlinge nicht in Watte, aber er behandelte sie wie Menschen, nicht wie Nummern.
Hardy saß an seinem Schreibtisch und hatte seinen gelben Notizblock aufgeschlagen vor sich liegen.
»Hazenkamp«, sagte der Direktor kurzangebunden.
»Ich würde Sie gerne ein paar Dinge bezüglich Louis Baker fragen …« sagte Hardy, nachdem er seinen Namen genannt hatte.
»So schnell? Was hat er getan?«
Hardy hatte in kurzen Zügen die ganze Geschichte bis hin zu Bakers Selbstmordversuch umreißen wollen, aber Hazenkamp unterbrach ihn, als er Rusty Ingrahams Namen hörte.
»Ingraham ist tot?«
Hardy schwieg.
»Um Gottes willen«, sagte der Direktor. »Dann habe ich einen schweren Fehler begangen.«
»Wie meinen Sie das?«
»Ingraham hat mich vergangenen Monat ein paarmal angerufen.«
»Ein paarmal?« wiederholte Hardy.
»Ja, zweimal glaube ich. Er schien große Angst zu haben, und jetzt sieht es so aus, als sei sie gerechtfertigt gewesen. Ich habe zu ihm gesagt, er brauche sich keine Sorgen zu machen, Baker stelle keine Bedrohung mehr dar.« Hazenkamp fluchte leise. »Und trotzdem muß ich sagen, daß ich überrascht bin. Wieder ein paar Illusionen weniger.«
»Weshalb das?«
»Nun, Sie wissen, daß die meisten zurückkommen oder bei einem Verbrechen getötet werden …«
Hardy wartete.
»Aber Louis Baker … Sehen Sie, auf ein paar von ihnen muß man seine Hoffnung setzen, sonst wird man verrückt.«
»Und einer von ihnen war Baker?«
»Entweder man glaubt an Rehabilitation oder eben nicht.«
»Und Sie glauben daran?«
»Nicht gerade aus tiefstem Herzen. Aber manchmal hat man ein gutes Gefühl. Wir entlassen die Burschen ja nicht vorzeitig, wenn wir nicht zuversichtlich sind, daß sie versuchen werden, anständig zu bleiben.«
»Also haben Sie Baker persönlich gekannt?«
»Ich kenne die meisten von ihnen persönlich. Ich lege Wert darauf, Zeit für sie zu haben, mit ihnen zu sprechen.«
»Und Baker …?«
Hardy konnte hören, wie Hazenkamp ausatmete.
»Baker war eine harte Nuß. Sehr hart. In seinem Kopf war so ziemlich alles falsch gepolt, als er hergebracht wurde. Aber, wie ich schon sagte, wenn man so lange drinsteckt wie ich, will man einfach glauben, daß man ein Gefühl für diese Dinge entwickeln kann. Bei Baker war ich tatsächlich überzeugt davon, daß er sich geändert hätte. Er war kein Psychopath. In seinem Fall, und ich sage das wirklich nicht oft, war ich der Ansicht, er sei so hart und brutal geworden, weil er anders nicht überlebt hätte.«
»Ich habe ihn damals erlebt, Mr. Hazenkamp. Er war ein verdammt schwerer Junge.« Hardy wußte zuviel über die Verbrechen, die Baker begangen hatte, um an die Milieutheorie zu glauben.
»Oh, das bestreite ich nicht. Er wird nie ein ruhiger, anständiger Bursche sein. Aber« – Hazenkamps Stimmlage stieg an, seine Hoffnung widerspiegelnd – »er war nicht drogensüchtig, sein Hirn war nicht zerstört. Er kam gut mit den anderen Jungs zurecht, war in der Basketballmannschaft, gab Boxunterricht … Sicher ein Einzelgänger, aber einer, der mit anderen Menschen umgehen konnte. Kein Mörder. Wenigstens habe ich das geglaubt …«
»Vielleicht ist er auch kein Mörder.«
»Aber haben
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