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Die Rache

Die Rache

Titel: Die Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John T. Lescroart
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der ihm vor sich selbst eine Ausrede dafür verschaffen würde, daß er hier drinnen war und weg von der Straße. Hier oben trug beinahe jeder Mantel und Krawatte oder eine Uniform, und fast alle waren weiß. Hardy nahm nicht an, daß Louis Baker sich verkleiden würde, um ihn abzuknallen. Unten hatte sich jeder Schwarze, dem er begegnet war, vor seinen Augen in Louis Baker verwandelt, war so frei wie der Wind und trug eine Kugel bei sich, in die Hardys Name eingraviert war. Wenn ihm schon hier im Justizgebäude so zumute war, wo an allen Eingängen Metalldetektoren aufgebaut waren, wollte Hardy lieber nicht daran denken, wie er sich draußen fühlen würde.
    Die Staatsanwaltschaft von San Francisco hatte ungefähr hundert Assistenten. Die meisten von ihnen – mit Ausnahme einiger politischer Persönlichkeiten, die für Generalstaatsanwalt Christopher Locke höchstselbst arbeiteten – erledigten ihren Job zu zweit in anonymen Büros, die mit je zwei Schreibtischen und den üblichen Aktenordnern, Bücherregalen, Postern, Pflanzen und Souvenirs ausgestattet waren, und es kam durchaus vor, daß sich bei zwei überbeschäftigten Leuten mit zu wenig Zeit und zu vielen Fällen das Beweismaterial nur so stapelte.
    An den Türen gab es keine Namensschilder, keine Hinweise auf Rang oder Persönlichkeit. Die meisten Türen zum Gang hin waren geschlossen, die meisten Räume, deren Türen offenstanden, leer. Hardy erinnerte sich nicht, ob das schon so gewesen war, als er noch hier gearbeitet hatte. Wahrscheinlich, denn auch sonst schien sich nichts auffällig verändert zu haben.
    Er kam am Aktenarchiv vorbei und lehnte sich über den Ausgabeschalter, um die Reihen mit den verblichenen Ordnern zu betrachten.
    »Was wollen Sie, Hardy?«
    Sie war immer noch hier – die kleine, rundliche Touva mit dem pomadisierten Haar, die schon eine Institution gewesen war, als Hardy angefangen hatte. Touva vergaß nichts und archivierte mit fanatischer Sorgfalt. Auch wenn in einem Fall sonst rein gar nichts ordentlich laufen sollte – die Akten würde man bekommen, sobald man sie brauchte.
    Touva musterte Hardy ungeduldig. Es sah ganz so aus, als wäre ihr nicht bewußt, daß er seit bald zehn Jahren nicht mehr hier arbeitete.
    »Wie geht’s, Touva?«
    »Viel zu tun, was sonst. Welche Nummer hat der Fall, Hardy? Zum Schwatzen habe ich keine Zeit.«
    »Kein Fall.«
    »Okay. Dann bis später.«
    Sie ließ ihn stehen, und Hardy machte sich wieder auf den Weg. Ein paar Gesichter kamen ihm vertraut vor, aber es überraschte ihn, daß er niemanden sah, den er besser kannte, mit dem er hätte reden können. War es wirklich so lange her? Er fühlte sich, als würde er seiner alten High School einen Besuch abstatten.
    Er blieb vor der Tür eines Raumes stehen, in dem ein junger Mann auf einem Stuhl saß und Vergrößerungen von Fotos studierte, die Hardy sich nicht genauer ansehen wollte – er hatte heute morgen aus erster Hand genug von diesem Zeug gesehen.
    Er hatte sich entschieden, mit wem er sprechen mußte.
    »Ich versuche, das Büro von Art Drysdale zu finden«, sagte er.
    Der Junge riß sich von den Fotos los. »Eine gute Gelegenheit«, sagte er.
    »Wie bitte?«
    »Oh, Entschuldigung, ich habe mit mir selbst gesprochen … Eine gute Gelegenheit, für eine Minute von diesem Zeug wegzukommen. Drysdale, sagten Sie?«
    Sie gingen zurück, am Archiv vorbei. Drysdales Büro lag zwei Türen dahinter auf der anderen Seite des Ganges. Hardy klopfte. Der Junge, weiter in seiner Arbeit vertieft, war schon wieder auf halbem Weg in sein Büro.
    »Es ist offen.«
    Drysdale saß mit dem Rücken zur Tür, hatte die Füße auf das Fensterbrett gelegt und telefonierte. Der andere Schreibtisch war nicht besetzt. Hardy legte ein paar Aktenordner von einem Stuhl auf den Boden, setzte sich und wartete.
    »Nein«, sagte Drysdale. »Nein, das wissen wir nicht.« Er schwieg und hörte zu. Hardy bemerkte, daß die Knöchel seiner Finger, die den Hörer hielten, weiß vor Anspannung waren.
    »Wenn Sie meine Meinung hören wollen: Es ist nicht einmal wahrscheinlich. Ich glaube, es ist ein großer Fehler.« Er sagte ein paarmal »ja, ja« und »richtig«, während er mit einer Hand den Hemdkragen lockerte. Die Knöchel der anderen waren noch immer weiß. »In Ordnung, es ist Ihre Entscheidung.« Eine Sekunde verstrich. Dann sagte er laut: »Natürlich werde ich es tun. Es ist unsere Arbeit, nicht wahr? Aber es stinkt mir, Chris. Sir. Es stinkt mir wirklich.« Er

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