Die Rache
auf die andere Straßenseite zum anderen Francis hinüber – dem Saint-Francis -Hotel, das neben dem Drake winzig wirkte. Ein paar Straßenzüge weiter nördlich warf das Bankamerika -Gebäude den Schatten seiner fünfzig Stockwerke auf die zehn Blocks der Innenstadt, die es umgaben. Die Transamerira -Pyramide und die Embarcadero Center Towers waren auf ihre Weise ebenso symbolisch wie mittelalterliche Kathedralen, fand Hardy. Nur huldigten sie einem anderen Gott.
Er nahm seinen Kaffee und ging über den verblichenen Teppich des nahezu leeren Sternenzimmers. Mit Ausnahme des Südens, wo die Schiffsanlegestellen und Hunter’s Point zu sehen waren, verstellten Hochhäuser den Blick.
Hier oben hatte Hardy mit Jane getanzt, war Arm in Arm mit ihr vor den Fenstern gestanden, die vom Boden bis zur Decke reichten, hatte hinuntergesehen auf seine Stadt, während drüben an der Bar die ›Alten‹, also die Vierzig- bis Fünfzigjährigen, ihre Happy-Hour-Doppelten getrunken oder zur Musik nicht etwa einer Rockband, sondern einer Combo getanzt hatten. Es war ein friedvoller Ort gewesen, ein Ort der Besinnung, der Regeneration, weit weg von der Rastlosigkeit der übrigen Stadt.
Jetzt fühlte Hardy sich selbst wie einer dieser Alten.
Eine Stimme hinter ihm sagte: »Diese Fenster sollten geputzt werden.«
Hastig fuhr er herum. Einen Moment lang hatte er beinahe vergessen, daß er gejagt wurde. »Es macht wirklich nichts«, sagte er. »Viel ist sowieso nicht mehr zu sehen.«
Hector Medina war ein kleiner, vierschrötiger Mann mit einem eckigen Gesicht und dünnem Haar. Er trug eine braune Anzuguniform und schwarze Schuhe, die nicht gerade glänzten. Er zeigte Hardy seine Sicherheitsdienst-Marke und ging voraus, zur Bar zurück. Dort ließ Hardy sich Kaffee nachschenken, und Medina bestellte ein Glas Wasser, ohne Eis, ohne Zitrone.
»Die Woche der Bullen«, sagte Medina. »Die Straße der Erinnerung …«
»Ich bin nicht mehr bei der Truppe«, entgegnete Hardy. »Die Nachricht, die ich hinterlassen habe …«
»Ja, hab’ ich bekommen … Ex-Bulle oder Bulle. Auch ich bin ein Ex-Bulle. Aber ich fühle mich immer noch wie ein Bulle.«
»Sie sind der Chef des Sicherheitsdienstes hier, nicht wahr?«
Medina hustete. »Ja … Eine japanische Gruppenreisentouristin verliert ihr Täschchen, ich leite eine Untersuchung ein, und wo ist es? Unter ihrem Bett. Ein Bauer aus Kansas, der feststellt, daß die Nutte, die er sich ausgesucht hat, ein Junge ist, und einen Tobsuchtsanfall bekommt. Harte Fälle.« Er nippte an seinem Wasser. »Verdammt, was rede ich da? Es ist ein guter Job. Nur dürfen Sie nicht den Fehler machen, ihn mit richtiger Polizeiarbeit zu verwechseln.« Er wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab. »Also, was kann ich für Sie tun?«
Hardy war sich nicht sicher, was Medina für ihn tun konnte. Er wußte nicht einmal genau, warum er hierher gekommen war, aber es war immer noch besser, als mit einer geladenen Waffe und dem Kopf voller Fragen in Frannies Wohnung herumzusitzen. Er fand, er konnte genausogut versuchen, ein paar Antworten zu bekommen. »Es geht um Rusty Ingraham.«
Wieder nahm Medina sein Glas, dann stellte er es zurück. »Wissen Sie, das hatte ich so im Gefühl.«
»Warum das?«
»Kennen Sie Clarence Raines?«
Der Name schien Hardy vertraut, doch er schüttelte den Kopf.
»Die Abteilung macht ihn fertig. Ihn und seinen Partner.«
»Ist er einer von den Burschen, die …«
»Ja, ja. Genau diese Burschen. Clarence kam her, um mich zu fragen …«
»… weil Ihnen etwas Ähnliches passiert ist?«
»Etwas sehr Ähnliches. Abgesehen davon, daß die beiden ihren Verdächtigen nicht umgebracht haben. Wie hieß er noch? Treadwell. Sie hätten es tun sollen. Mein Mann konnte wenigstens nicht mehr reden.«
»Was haben Sie Clarence geraten?«
»Was ich ihm geraten habe? Ich habe ihm und seinem Partner geraten, sich nach anderen Geschäften umzusehen.«
Hardy begriff nicht.
»Geschäfte, Sie wissen schon: Sportartikel, Versicherungen, irgendwas in der Richtung. Denn ihre Laufbahn bei der Polizei ist zu Ende. Wenn man erst einmal unter Verdacht steht …«
»Ist es bei Ihnen so gewesen?«
»Ingraham«, antwortete Medina.
»Er hat die Anklage vorgebracht?«
»Nein, nein. Dafür war er zu sehr auf seine reine Weste bedacht. Hielt seine Hände draußen. Er gab den Fingerzeig und hetzte die Meute auf mich.«
»Aber Sie wurden freigesprochen.«
»Weil der Staatsanwalt einen guten Polizisten
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