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Die Rache

Die Rache

Titel: Die Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John T. Lescroart
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Unvollendetes war in Ordnung: Es bedeutete, daß man etwas begonnen hatte, nicht, daß man es verkommen ließ.
    An der Vordertür klopfte es. Louis Baker stand mit dem Saftglas in der Hand auf und ging hin, um zu öffnen. Auch der vordere Raum war heller, seit er die Scheiben eingesetzt hatte, obwohl Mama die Jalousien den Tag über geschlossen ließ.
    Der Mensch, so dachte er, kommt in den unterschiedlichsten Formen daher. Dieser Mann, zweifellos auf irgendeine Art ein Farbiger, kannte seinen Wert. Etwas in Baker wußte augenblicklich, mit was für einer Art Mann er es zu tun hatte – der Umgang mit Gefängnisaufsehern war eine gute Übung. Da gab es die miesen Kerle, die warteten, bis man sich umgedreht hatte, und einem dann hinten auf Schenkel schlugen. Dann die, die einfach ihre Arbeit erledigten. Ein paar, die immer Angst hatten und die Oberhand behalten mußten. Die waren gefährlich. Die meisten gehörten einer dieser Gruppen an.
    Dieser hier, das hatte Baker im Gefühl, erledigte seine Arbeit. Er war in Zivil, aber Baker wußte, was er war, die Marke, die der Mann ihm zeigte, brauchte er nicht anzusehen. Der Mann hätte erklären können, er sei gekommen, um den Zähler abzulesen, Baker hatte ihn auf den ersten Blick erkannt.
    Er führte ihn in die Küche, setzte sich auf seinen Stuhl, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und bedeutete dem Mann durch eine Geste, sich zu setzen. Dann wartete er.
    »Wir haben ein Problem, Louis.«
    Er wartete.
    »Ein toter Mann draußen im China Basin.«
    Baker fühlte, wie seine Knie weich wurden, und war froh, daß er saß. Wie konnten sie ihn schon jetzt damit in Verbindung bringen?
    »Ich kenne niemandem vom China Basin.«
    Der Mann lächelte. Kein Lächeln, das ihn sympathisch machte. Eine Narbe zog sich von oben nach unten über seine Lippen. Baker dachte an seine Alpträume. An die Menschen um ihn herum, die ihn von dem Licht fernhielten. Diese Leute, zumindest einige, hatten gelächelt wie dieser Mann.
    »Sie kennen jemanden von dort, Louis, oder Sie kannten jemanden.«
    »Nein, bei Gott, wirklich nicht. Ich bin, wie Sie wissen, im Knast gewesen. Ich bin erst seit zwei Tagen draußen. Ich treffe mich mit niemandem. Ich lebe einfach hier und räume auf.«
    »Sie räumen auf?«
    Louis wies auf die Umgebung. »Die Wohnung, wissen Sie. Ich setze Scheiben ein. Streiche ein bißchen.«
    Der Mann vollführte eine halbe Drehung in seinem Stuhl. Dann wandte er sich ihm wieder zu. »Erinnern Sie sich an Ihre Verhandlung, Louis? Als Sie geschworen haben, Sie würden die beiden Männer umbringen, die Sie hinter Gitter gebracht hatten?«
    »Ja, das habe ich gesagt. Es war ein Fehler.«
    »Es war ein größerer Fehler, es tatsächlich auch zu tun«, sagte der Mann kalt.
    »Wovon sprechen Sie?« Fast hätte Louis aus Gewohnheit gesagt: Ich habe Ingraham nicht umgebracht. Aber dann hätte der Mann gefragt: Woher wissen Sie, daß ich von Ingraham spreche? Immerhin – es hätte ja auch Hardy sein können. Besser, er fand heraus, was der Mann wußte, bevor er den Mund auftat und ihm irgend etwas erzählte. Für den Mann waren Gestehen und Leugnen nur zwei Seiten derselben Medaille – beide verrieten ihm, daß man etwas wußte, etwas getan hatte.
    »Ich spreche davon, daß es so aussieht, als sei Rusty Ingraham vorgestern nacht erschossen worden.«
    »Tut mir leid, das zu hören.«
    »Wo sind Sie gewesen?«
    »Hab’ ich Ihnen doch gerade gesagt. Ich bin aus der Kiste gekommen und nach Hause gegangen.«
    »Hat Sie jemand gesehen?«
    Louis kratzte sich die bloße Brust. »Warum fragen Sie nicht herum?«
    Der Mann donnerte seine Faust mit solcher Wucht auf den Tisch, daß über den Rand des Glases in Bakers Hand Kaffee spritzte. In der Zeit, die er brauchte, um sich zu beruhigen und wieder aufzublicken, zog der Mann seine Waffe und richtete sie auf seine Brust. »Sie möchten ein Spiel mit mir spielen. Ich bin ein guter Spieler.«
    »Ich spiele kein Spiel.«
    »Lassen Sie uns Wer tötete Rusty Ingraham spielen.«
    Baker ließ seine Augen einen Moment lang auf der Waffe ruhen. »Ich spiele kein Spiel«, wiederholte er. »Nehmen Sie mich fest, oder reden wir hier?« Er konnte es auch gleich erfahren, dachte er. Sie nahmen ihn mit oder eben nicht. Wenn ja, würde er zurück ins Gefängnis wandern.
    Er starrte noch immer die Waffe an. Es kam oft genug vor, daß Leute erschossen wurden, wenn sie sich der Verhaftung widersetzten. »Haben Sie noch mehr Waffen bei sich?« fragte er.

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