Die Rache
sie einfach da war, vielleicht. Ich weiß es nicht.«
»Das ist der Punkt: Du weißt es nicht. Paß auf, um dich zu beruhigen, werde ich Baker heute aufsuchen.«
»Danke.«
»Aber ich verspreche nichts. Der Mann ist auf Bewährung draußen, hat sich bei seinem Bewährungshelfer gemeldet und hält sich an die Regeln. Ich habe keinen Grund anzunehmen, daß er Rusty Ingraham auch nur gesehen, geschweige denn getötet hat. Es tut mir leid, wenn du deswegen unter Verfolgungswahn leidest …«
»Kein Verfolgungswahn, Abe. Findest du es nicht ein bißchen auffällig, daß Rusty an dem Tag erledigt wurde, an dem Baker rauskam?«
»So was kommt vor, und ich habe es satt, dich immer wieder daran erinnern zu müssen, daß Rusty offiziell nicht tot ist.« Glitskys Ton veränderte sich plötzlich, wurde scharf. »Und begreif es endlich, Diz – ich habe ein Mordopfer, Maxine, die dich vielleicht nicht interessiert, aber mich hat sie zu interessieren. Außerdem habe ich jede Menge anderer Fälle, wie zum Beispiel vier weitere Morde, die ich bearbeiten muß, ganz zu schweigen von der Akte mit den guten alten Dauerbrennern, die noch ungeklärt sind. Ich tue dir einen Gefallen – einen Gefallen, hast du verstanden? –, wenn ich Louis Baker auch nur aufsuche. Technisch gesehen ist es reine Schikane gegenüber einem Mann, der auf Bewährung raus ist, aber ich mache es, weil du nicht immer so unerträglich bist wie im Moment.«
Hardy wurde klar, daß er weit genug gegangen war. »In Ordnung, Abe, in Ordnung.«
»Wenn du in der Zwischenzeit etwas Sinnvolles tun willst, dann finde eine Leiche oder wenigstens einen Grund dafür, weshalb wir keine gefunden haben. Finde etwas, das mir beweist, daß Rusty tot ist, dann bin ich auf deiner Seite.«
»Einverstanden. Ich kümmere mich darum.«
Hardy konnte hören, wie Glitskys Atem ruhiger wurde. »Ja«, sagte sein Freund. »Tu das.«
7
Louis Baker hatte Alpträume und fand bis zum Morgengrauen keinen Schlaf.
Er träumte von einem hellen Licht, das ihm Zeichen gab, aber jedes Mal weckte ihn die Hofsirene, bevor er das Licht erreichen konnte. Ein paarmal waren, bevor die Sirene ertönte, andere Leute um ihn, die sich gegen ihn drängten. Sie waren nicht unterwegs zu dem Licht, nahmen es nicht einmal wahr, aber sie versperrten ihm den Weg, und er mußte sich durch sie hindurchkämpfen, in ihre Gesichter schlagen, über ihre Körper steigen, wenn es nicht anders ging.
Ein paarmal erwachte er in Schweiß gebadet auf dem Boden und schlug noch immer nach den Menschen, die ihm den Weg versperrten.
Mama war nicht zu sehen, als er die Treppen hinunterkam. Das Haus wirkte verändert, und er brauchte eine Weile, bis ihm klar wurde, daß es an den Fenstern lag. Noch immer gab es viel für ihn zu tun, aber er freute sich, daß er die Sache mit den Fenstern zuerst erledigt hatte. Der Ort, an dem man lebte, mußte in Ordnung sein. Vor allem jetzt, nach den Jahren in der Zelle. Dies hier war zwar noch Mamas Wohnung, aber er spürte, wie sie begann, sein Revier zu werden. Noch wollte er sich nicht hineinfallen lassen, es gab noch eine Menge zu ordnen, doch das Licht, das durch die Fenster kam, schien ein Anfang zu sein.
Er stand vor dem Spülbecken in der Küche, barfuß und mit bloßer Brust. Ein Strick hielt die Gefängnishose um seine Taille zusammen. Er ließ das Wasser laufen, bis es heiß war. Seine Hände blieben auf dem von Rissen durchzogenen Rand des Beckens liegen. Das Porzellan war braun und rot gestreift vorm Rost. Er sah aus dem Fenster hinaus in den warmen Tag. Es mußte später Vormittag oder sogar Mittag sein. Nirgendwo ertönte eine Sirene, ob man nun schlief oder nicht.
Er krümmte den Rücken, bewegte den steifen Nacken hin und her, um die Verkrampfungen zu lösen. Dampf stieg auf und beschlug die Fensterscheibe vor ihm. Er ließ heißes Wasser in ein Saftglas laufen und setzte sich dann an Mamas Tisch, schöpfte zwei Teelöffel Nescafé in das Glas und rührte mit dem Löffelstiel um.
Er hatte in der Wohnung noch nicht gestrichen, aber die lose herunterhängenden Tapetenfetzen entfernt. Nachdem die Jungs gestern fortgelaufen waren, um im Bereich zu arbeiten, war er ins Haus gegangen. Er war wütend gewesen und hatte versucht, einen Entschluß zu fassen, wie er mit Dido umgehen sollte. Die herunterhängenden Tapetenstreifen hatten ihn noch wütender gemacht, und so hatte er sie abgerissen. Jetzt sahen die Küchenwände unvollendet aus, aber das war in Ordnung.
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