Die Rache
Rustys Kahn abgespielt haben konnten. Aber die Wahrscheinlichkeit wies eindeutig auf Baker. Hardys Verdacht gründete sich nicht auf Bakers Rasse – zum Teufel, Glitsky war zur Hälfte schwarz und einer seiner besten Freunde. Er mußte lächeln.
»Einige meiner besten Freunde …« sagte er.
»Dismas?«
Sie sah, wie die Lachfältchen um seine Augen verschwanden. Er wandte sich ihr zu, sah sie wieder an. »Entschuldige. Ich war einen Moment lang in Gedanken.«
»Hast du etwas gesehen?«
»Ja, ich habe eine Horde Jugendlicher gesehen und mich gefragt, ob ich dabei bin, mich zum Rassisten zu entwickeln. Aber dann habe ich an Baker gedacht, der nicht die geringste Ähnlichkeit mit dir und mir und diesen Jugendlichen hat.«
Frannie war von ihrem Bruder Moses aufgezogen worden und kannte Hardy, seit Moses aus Vietnam zurück war. Im Alter von zwölf, dreizehn Jahren saß sie oft auf Hardys Schoß und spann Phantasien über den Freund ihres Bruders, Dismas, den Helden, der inzwischen bei der Polizei war und in seiner gebügelten blauen Uniform sehr gut aussah. Dann ging Hardy zur juristischen Fakultät, wurde Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft, heiratete und bekam mit Jane Fowler ein Kind. Als der Junge tot war, ließ Hardy sich scheiden, gab seinen Job auf, und sie bekam ihn wieder öfter zu sehen, erst als Gast, dann als Barkeeper in Moses’ Bar, dem Little Shamrock .
In dieser Zeit lernte sie ihn besser kennen, wenn sie auf ein Bier im Shamrock haltmachte, um Moses zu besuchen. Und würde Hardy nicht so offen und demonstrativ signalisieren, daß man ihm nicht zu nahe kommen solle, würde sie vielleicht neue Phantasien spinnen. Also machte sie ihn statt dessen zum Maßstab und sagte ihren Collegefreundinnen, sie würde sich mit keinem Jungen ein zweites Mal treffen, wenn er nicht mindestens so wunderbar wäre wie Dismas Hardy. Sie fand einen solchen Jungen, Eddie Cochran, und heiratete ihn. Und verlor ihn …
Sie sah über den Tisch auf das besorgte Gesicht, das dem von Eddie so wenig glich. In Hardys Gesicht standen Falten und Linien und ganze Kapitel seines Lebens. Inzwischen fand sie ihn eher interessant als gutaussehend. Aber er war wie Eddie, oder Eddie war wie er gewesen – beide immer darauf bedacht, das Richtige zu tun, aus den richtigen Motiven heraus zu handeln. Dismas würde das nie zugeben, aber Frannie kannte ihn und wußte, daß es so war.
Jetzt versuchte jemand, ihn zu töten, und er wollte ihn nicht aus den falschen Gründen verdächtigen. Sie stand auf, ging um den Tisch herum, trat hinter ihn und legte ihm die Hände auf die Schultern.
»Du und ich, wir wissen beide, daß du kein Rassist bist«, sagte sie. »Auch nicht andeutungsweise.«
Hardy zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht. Es ist für mich keine wichtige Frage mehr. Vielleicht bedeutet das, daß es mich nicht interessiert. Ich weiß nur, daß Baker vor zehn Jahren ein Tier gewesen ist, das wir in einen Käfig gesperrt haben, und daß er geschworen hat, mich und Rusty umzubringen, wenn er wieder auf freiem Fuß wäre. Und seit dem Tag, an dem er entlassen worden ist, ist Rusty tot. Was denkst du? Was für einen Beweis braucht man denn noch?«
Sie dachte einen Moment lang nach, dann beugte sie sich vor und küßte ihn auf den Kopf. »Ich denke nicht.«
»Das ist die richtige Antwort«, erwiderte Hardy.
Abe Glitsky kam zu spät zur Arbeit. Er parkte seinen Wagen hinter dem Justizgebäude und betrat es durch die Hintertür. Er nickte den beiden uniformierten Polizisten zu, die neben den Metalldetektoren standen, wandte sich nach links zur Stechuhr, ging dann zu den Fahrstühlen und blieb einmal kurz stehen, um sich aus dem Automaten einen Schokoriegel fürs Frühstück zu ziehen.
Obwohl es sechs Fahrstühle gab, vergingen nach seiner Uhr dreieinhalb Minuten, bevor sich die erste Tür öffnete. Während dieser Zeit sprach er mit niemandem. Er kaute seinen Schokoriegel, dachte über Hardys Problem nach und kam zu dem Entschluß, daß auch er höchstwahrscheinlich ein Problem hatte, weil er es seinem Freund schuldig war, mit Louis Baker zu sprechen – wenigstens mit ihm zu sprechen und festzustellen, wo er vor zwei Nächten gewesen war.
Auf der Etage war es totenstill. Einen Moment lang dachte Abe, die ganze Abteilung befinde sich im Krankenstand oder es gebe einen Protest, der etwas formellerer Art als die Sache mit den Golfclubs war. Er steckte den Kopf ins Untersuchungsdezernat, konnte aber niemanden sehen. Niemanden.
Als
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