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Die Radleys

Titel: Die Radleys Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Haig
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ihre Tochter gestern nackt unter der Dusche gesehen und konnte mit Gewissheit sagen, dass sie keinen einzigen Kratzer abbekommen hatte. Sollten sie also Blut finden, konnte es nicht von Clara sein. Sicher gab es Spuren ihrer DNA da draußen, zunächst einmal Speichel vermischt mit seinem Blut, aber man würde einiges an Fantasie aufbieten müssen, um sich vorzustellen, wie Clara diesen Jungen ohne jede Waffe hätte umbringen sollen, ohne dabei selbst zu bluten.
    Und drei: Die Leiche des Jungen – der einzige endgültigeBeweis dessen, was passiert war – würde kaum gefunden werden, da Peter ihr versichert hatte, dass er weit aufs Meer hinausgeflogen war, bevor er die Leiche fallen ließ.
    Hoffentlich halten diese drei Faktoren zusammen die Polizei, oder zumindest jene Teile der Polizei, die sich in solchen Dingen auskennen, davon ab zu glauben, dass Clara ein Vampir sein könnte.
    Trotz allem findet Helen die Situation ziemlich schwierig. Sie hatten keine Zeit gehabt, gestern Nacht, die Spuren zu verwischen, was in den alten Zeiten niemals vorgekommen wäre. Vielleicht hätte Peter später noch einmal zurückkehren sollen, in den frühen Morgenstunden, um die breite Spur zu verwischen, die er beim Schleppen des schweren Körpers hinterlassen haben musste. Vielleicht sollten sie das jetzt nachholen, bevor es zu spät war. Vielleicht sollte sie aufhören, für heftigen Regen zu beten, und die Initiative ergreifen.
    Natürlich weiß sie, dass sie mit der ganzen Sache genauso entspannt umgehen würde wie ihr Ehemann und ihre Tochter, wenn sie gestern Blut getrunken hätte. Das Glas wäre eher halb voll als halb leer, und sie würde daran glauben, dass sie aus der Situation mittels Blutdenken herauskommen könnten, denn schließlich war Will hier. Kein Polizist in ganz North Yorkshire würde auf die Idee kommen, dass ihre Tochter eine Mörderin sein könnte, geschweige denn ein ausgewachsenes Geschöpf der Nacht.
    Aber sie hatte lange kein Blut getrunken, und ihre Sorgen flattern und picken um sie herum wie ein Schwarm hungriger Krähen.
    Und die größte, hungrigste Krähe von allen ist Will. Jedes Mal, wenn sie aus dem Fenster blickt, sieht sie seinen Campingbus wie ein Werbeplakat für Claras Schuld, eine Schuld, die auf ihnen allen lastet.
    Nach dem Abendessen will Helen diese Sorgen im Wohnzimmer zur Sprache bringen. Sie will alle daran erinnern, dass bald vierundzwanzig Stunden vergangen sind, seit der Junge verschwunden ist, und dass die Polizei bald anfangen wird, Fragen zu stellen, und dass sie sich endlich auf ihre Version der Geschichte einigen müssen. Aber niemand hört zu, außer Will, der ihre Bedenken einfach wegwischt.
    Er erklärt Helen und Peter, wie sehr sich in Bezug auf die Polizei die Lage verändert hat. »Mitte der Neunzigerjahre sind die Vampire aktiv geworden. Sie haben sich organisiert. Sie haben eine Gesellschaft gegründet, um mit der Polizei fertig zu werden. Es gibt eine Liste aller Leute, von denen sie die Finger lassen müssen. Ihr wisst, wie Vampire sind. Hierarchien sind ihr Ding. Tatsache ist, ich stehe auf dieser Liste.«
    Das tröstet Helen wenig. »Aber Clara steht nicht drauf. Und wir auch nicht.«
    »Stimmt. Und die Sheridan Society nimmt dich bloß auf, wenn du Hardcore bist, aber hallo, die Nacht ist schließlich noch jung. Wir könnten ausgehen und einen draufmachen.«
    Helen sieht ihn bloß böse an.
    »Hört mir zu«, sagt Will. »Wegen der Polizei müsst ihr euch keine Sorgen machen. Jedenfalls nicht nur wegen der Polizei. Da sind auch noch die Leute, die verletzt sind. Die, denen alles egal ist. Die Mütter, die Väter, die Ehemänner und Ehefrauen. Die lassen sich nicht so einfach umkrempeln.« Er hält Helens Blick stand und grinst so unglaublich vielsagend, dass sie spürt, wie ihre Geheimnisse aus seinen Poren ins Zimmer triefen. »Weißt du, Helen, mit den Gefühlen der Leute darf man eben nicht spielen. Wenn man das tut, hat man Probleme.«
    Er lehnt sich auf dem Sofa zurück, leert ein Glas Blut, undHelen erinnert sich an die Nacht in Paris. Als sie ihn auf dem Dach des Musée D’Orsay geküsst hat. Wie sie Hand in Hand mit ihm vor die Empfangsdame dieses Grand Hotels an der Avenue Montaigne trat und sie durch Blutdenken dazu brachte, ihnen die Präsidentensuite zu geben. Er sieht immer noch genau wie damals aus, und die Erinnerungen, die sein Gesicht weckt, sind so frisch und zugleich entsetzlich wie eh und je.
    Diese Erinnerungen bringen Helen aus dem Konzept,

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