Die Radleys
und sie weiß nicht mehr, was sie sagt. Hatte er das absichtlich getan? War er einfach in ihre Gedanken eingedrungen und hatte sie ein bisschen durcheinanderge wirbelt? Jedenfalls ist Helen in der Folge dieses Konzentrationsverlustes frustriert und findet, dass von dem Abend nicht mehr übrig bleibt als das Interview mit einem Vampir , mit Will in der Hauptrolle als Blutsauger vom Dienst, dem Clara eine Frage nach der anderen stellt. Und Helen kann auch nicht übersehen, dass sogar Rowan Will genau zuhört und sich für das zu interessieren scheint, was Will zu sagen hat. Nur ihr Ehemann wirkt teilnahmslos. Zusammengesunken in seinem Ledersessel sitzt er da und starrt auf die tonlose Folge einer Dokumentarreihe über Louis Armstrong auf BBC 4, entrückt in seine eigene Welt.
»Hast du viele Leute getötet?«, fragt Clara.
»Ja.«
»Dann muss man also jemanden umbringen, wenn man sein Blut trinken will?«
»Nein, man kann ihn auch konvertieren.«
»Konvertieren?«
Will legt eine Pause ein und sieht Helen an.
»Natürlich konvertiert man nicht einfach irgendwen. Das ist eine ernste Angelegenheit. Du trinkst sein Blut, und dann trinkt er deins. Es beruht auf Gegenseitigkeit. Und ist aucheine Verpflichtung. Wenn du jemanden konvertierst, dann sehnt er sich nach dir. Liebt dich dein Leben lang. Auch wenn er ganz genau weiß, dass er dich auf keinen Fall lieben sollte. Er kann einfach nichts dagegen tun.«
Sogar Rowan scheint der Gedanke zu faszinieren. Helen sieht, wie sein Blick schärfer wird, als er sich so eine Liebe vorstellt.
»Selbst wenn sie einen nicht leiden können?«, fragt er. »Wenn man sie konvertiert, lieben sie einen?«
Will nickt. »Genau so ist das.« Helen ist sich sicher, dass sie hört, wie ihr Ehemann an dieser Stelle ein Wort vor sich hin flüstert. Jazz? Könnte es das gewesen sein?
»Hast du was gesagt, Peter?«
Er sieht auf, wie ein Hund, der vorübergehend vergessen hat, dass er einen Herren hat. »Nein«, sagt er betreten. »Eigentlich nicht.«
Clara setzt ihre Befragung fort. »Und hast du schon mal jemanden konvertiert?«, fragt sie ihren Onkel. Will beobachtet Helen, während er antwortet. Seine Stimme verschafft ihr ein Kribbeln auf der Haut, aus Angst und der unfreiwilligen Erregung, die die Erinnerung verursacht.
»Ja«, sagt er. »Einmal. Ist schon ewig her. Man schließt die Augen und strengt sich an und will vergessen. Aber es bleibt da. Du kennst das, wie bei einem billigen alten Song, der einem nicht aus dem Kopf geht.«
»War das deine Frau?«
»Clara«, sagt Helen lauter und bestimmter, als sie eigentlich wollte. »Das reicht.«
Will feiert den kleinen Triumph ihrer Verlegenheit. »Nein. Sie war die Frau von jemand anderem.«
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BLACK NARCISSUS
Stunden später, als die übrigen Radleys in ihren Betten liegen, fliegt Will Richtung Südwesten, nach Manchester. Sein Ziel ist das Black Narcissus, wo er samstags oft hingeht, und so schiebt er sich durch das Meer von Blutsaugern und Möchtegerns, alten Gothics und jungen Emo-Kids und Vampiren der Sheridan Society. Er überquert die überfüllte Tanzfläche mit den Cry-Boys und Sylvies und geht nach oben, an Henrietta und dem kleinen roten Schild vorbei. »V. I. V. Raum«.
»Henrietta«, sagt er grüßend, aber sie übersieht ihn einfach, was er ziemlich seltsam findet.
Blutsauger jeglicher Couleur lungern auf verschlissenen Ledersofas herum, hören Nick Cave und trinken aus Flaschen und den Hälsen anderer. Ein alter deutscher Horrorfilm wird auf eine der Wände projiziert, lauter stumme Schreie und verwirrende Kameraeinstellungen.
Will kennen hier alle, aber heute Nacht ist die Stimmung weniger freundschaftlich als sonst. Niemand will mit ihm reden. Aber das macht ihm nichts. Er geht einfach weiter, bis er den Vorhang erreicht hat. Er lächelt Vince und Raymond zu, die jedoch nicht zurücklächeln. Er schiebt den Vorhang zur Seite.
Drinnen bietet sich ihm jetzt das Bild, das er erwartet hat. Isobel und ein paar Freunde tun sich an einer nackten Leiche gütlich, die am Boden liegt.
»Hallo, dachte schon, du kommst nicht mehr«, sagt sie und hebt den Kopf. Wenigstens sie scheint sich zu freuen, dass er da ist.
Er starrt sie an, versucht, seine Lust zu beschwören, als sein Blick auf ihr »HIER BEISSEN«-Tattoo fällt, das unter dem Blut gerade noch zu erkennen ist. Sie sieht gut aus. Siebzigerjahre-Retro-Vamp, wie Pam Grier in der Blacula-Serie. Und eigentlich sollte er bei ihrem Aussehen ein bisschen
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