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Die Radleys

Titel: Die Radleys Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Haig
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Sibirien verbracht, sich bis zur Bewusstlosigkeit in den märchenhaften Blutbordellen in Dubrovnik betrunken, in rot verräucherten Zelten in Laos herumgelungert, in New York 1977 den Stromausfall gefeiert und, etwas später, sich in Vegas in der Dean Martin Suite des Bellagio Hotels an Showgirls gütlich getan. Er hat durch einen Spalt in den Sonnenrollos gesehen, wie sich die Hindu-Abstinenzler im Ganges von ihren Sünden reinwaschen, er hat auf dem Gehweg eines Boulevards in Buenos Aires einen sinnlichen Mitternachtstango getanzt. Und in eine falsche Geisha hat er auch gebissen, im Schatten eines Shogunpavillons in Kyoto. Aber jetzt im Moment will er nirgendwo lieber sein als in einem erbärmlichen kleinen Kaff in North Yorkshire.
    »Was ist denn los? Du hast kaum was getrunken«, sagt sie und drückt mit einem Finger auf die bereits verheilende Wunde an ihrem Hals.
    »Ich bin heute Nacht nicht so durstig«, sagt er. »Eigentlich muss ich auch gehen. Ich verbringe das Wochenende bei Verwandten.«
    Isobel ist gekränkt. »V erwandt e?«, sagt sie. »Was für Verwandte?«
    Er zögert. Zweifelt daran, dass Isobel ihn verstehen könnte. »Eben … Verwandte.«
    Und dann lässt er sie in den weichen Samtkissen zurück.
    »Will, warte …«
    »Tut mir leid. Muss gehen.« Er gleitet die Treppe hinunter bis zur Garderobe, wo er sich eine Flasche von dem Blut geben lässt, das er noch immer frisch auf seiner Zunge schmeckt.
    »Sie ist oben«, sagt der dürre, kahlköpfige Garderobenangestellte, der sich über die Wahl der Sorte wundert.
    »Ja, Dorian, ich weiß«, sagt Will. »Aber die hier will ich mit jemandem teilen.«

[Menü]
    PINOT ROUGE
    In Manchester wird bereits seit Monaten in der vielköpfigen Vampirgemeinde über Will Radley geredet. Und was geredet wird, ist nicht besonders charmant.
    Während man ihn bislang in höchstem Maße achtete und zu den mustergültigen Blutsüchtigen zählte, die mit Mord davonkommen, weil sie sich generell an eine bestimmte Sorte Unblutiger halten – die Lebensmüden, die Nichtsesshaften, die Flüchtigen, die weit draußen vor der Stadt Lebenden –, riskierte er jetzt hie und da ein bisschen zu viel, ging unnötige Wagnisse ein.
    Mit der erwachsenen Studentin, die mit dem Polizisten verheiratet war, hatte es angefangen. Natürlich war er damit damals davongekommen. Die Unnamed Predatur Unit, kurz UPU, jener offiziell nicht existierende Zweig der Greater Manchester Police, hatte dafür gesorgt, dass der Detective Inspector, der den Mord an seiner Ehefrau mit angesehen hatte, niemals ernst genommen wurde, und den Fall heruntergespielt, indem man die Frau für verschollen erklärte.
    Und trotz der vorsichtigen Beziehungen, die zwischen der Polizei und der Vampirgemeinde entstanden waren, lastete seit der Copeland-Affäre ein enormer Druck auf diesen Beziehungen, dem Einvernehmen zwischen der UPU und dem englischen Zweig der Sheridan Society, einer locker strukturierten Organisation für Vampirrechte mit Sitz in Manchester.
    Will blieb die Unterstützung durch seine Blutsauger-Kollegen dennoch eine Weile erhalten, und niemand hatte dem Druck der Polizei nachgegeben, die ihn fertigmachen wollte. Seine Blutdenker-Talente waren legendär, und seine aufschlussreichen Studien über die beiden Vampirpoeten Lord Byron und Elizabeth Barrett Browning (erschienen bei Christobel Press und auf dem Schwarzmarkt erhältlich), wurden von den Mitgliedern der Sheridan Society sehr geschätzt.
    Nachdem er seinen Posten an der Manchester University gekündigt hatte, wurde es zunehmend schwieriger, sein Verhalten zu rechtfertigen. Immer häufiger tötete er auf den Straßen von Manchester. Und obwohl viele der Ermordeten einfach den vermisst gemeldeten Personen zugeordnet wurden, war die Anzahl beunruhigend hoch.
    Die Vermutung lag nahe, dass mit Wills Psyche irgendetwas aus dem Ruder gelaufen war.
    Natürlich saugen die meisten praktizierenden Vampire gelegentlich dem einen oder anderen Unblutigen das Leben aus, im Allgemeinen sorgen sie jedoch dafür, dass die Balance zwischen Tötungen und dem wesentlich sichereren Verzehr von Vampirblut stimmt. Und was die Qualität anbelangt, so ist der Genuss von Vampirblut im Grunde ohnehin befriedigender, es ist komplexer und würziger im Geschmack als das Blut eines normalen, nicht konvertierten menschlichen Wesens. Und die größte Delikatesse auf dem Markt ist das Pinot Rouge, wie jeder Blutsauger weiß, Blut, das den Adern direkt nach der Konvertierung

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