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Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring

Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring

Titel: Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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untergehende Sonne nur ein kleiner, weit entfernter Punkt zu sein schien. Eine Armee der Schattenwesen stand zwischen ihnen und der Sonne. Ihre Augen und Zähne funkelten im Halbdunkel, und ihre Körper nahmen flackernd Gestalt an.
    »Licht!«, rief Hethor. »Lauft zur Sonne! Sie sind nur Dunkelheit!«
    Diesmal senkte das vergessene Volk seine Speere mit einem rauen Gebrüll und griff die wütenden Schatten an.
    Schreie und Blut begleiteten das furchtbaren Rennen. Todesangst erfasste Hethor. Das Blut gefror ihm in den Adern, und seine Füße wurden schwer wie Blei. So kurz vor Sonnenuntergang fanden die Monster in der Dunkelheit ihre Stimmen wieder und brüllten, als hätten sich alle Pumas Neuenglands auf einem einzelnen Hügel versammelt. Der Lärm war schlimmer als die nächtlichen Geräusche des Dschungels, schlimmer sogar als der Angriff des Krokodils auf dem Fluss, obwohl weder eine Kralle noch ein Fangzahn Hethors Körper berührte. Viele Angehörige des vergessenen Volkes schwankten in ihrer Entschlossenheit.
    Sie brauchen Hoffnung, um die Sonne zu erreichen, dachte Hethor zornig. Seine Seelenmagie hatte beim Krokodil versagt, aber er war der Bote. »Das Herz Gottes«, rief er dem vergessenen Volk zu, »ist das Herz der Welt.«
    »Herz der Welt!«, riefen sie als Antwort.
    »Solange der Mensch lebt, lebt Gott.«
    »Gott lebt!«
    »Solange Gott lebt, lebt die Welt.«
    »Die Welt lebt!«
    Die Worte schienen wenig Eindruck auf die Monster zu machen, aber sie trieben Hethor und seinen kleinen Trupp voran in Richtung der sich rot färbenden Sonne – und unvermittelt kamen sie am Kai aus dem Durchgang heraus. Der Wellenbrecher war zu ihrer Rechten zu sehen, die Hafenanlage und die Ankermaste zu ihrer Linken. Die Sonne war ein schwindendes Licht, das den Horizont berührte und den Ozean mit seiner Schwere erdrückte.
    Arellya hob die Hand, und die jungen Männer wurden langsamer. Hethor sah sich um. Heute Morgen hatten über fünfzig von ihnen die Stadt betreten, und nun waren vielleicht noch drei Dutzend übrig. Malgus’ Leiche trugen sie immer noch auf ihren Schultern. Mehr als fünfzehn Männer waren bei ihrer Flucht vom Marktplatz bis hierher gestorben. Und selbst hier, außerhalb der konzentrischen Mauern, waren sie noch nicht in Sicherheit. Hethor unterdrückte ein Schluchzen.
    »Die Boote«, rief er. »Zu den Booten.«
    Sie rannten die Anlegestellen entlang. Selbst die anscheinend unermüdlichen jungen Männer wurden nun langsamer, denn ihre Verwundungen und die Angst bedrückten sie. Die Nacht näherte sich ihnen mit einem fast hörbaren Poltern, und die Wesen der Stadt machten sich bereit, ihren letzten und tödlichsten Angriff zu führen.
    Die Sonne war eine flimmernde Schale, als das vergessene Volk das erste der vertäuten Schiffe erreichte. Es waren kleine Fischerboote oder flache Lastkähne, wie Hethor feststellte. Er hatte das Segeln nicht gelernt, und obwohl es beim vergessenen Volk durchaus geschickte Flussschiffer gab, wussten sie noch weniger vom Meer – vom Großen Salzfluss – als Hethor.
    Sie rannten weiter ins Dunkel der Nacht und erreichten ein größeres Schiff, ein bauchiges Handelsschiff, das wie eine moderne Version einer Kogge aus dem mittelalterlichen Europa aussah. Das Schiff hatte zu viele Segel und verlangte Fähigkeiten, die keiner von ihnen besaß.
    Hethor wurde klar, dass sie es nur mit dem Luftschiff versuchen konnten.
    Die Ankermaste befanden sich am Ende der Anlegestellen, und die Sonne verschwand gerade endgültig unter den Horizont. »Die Bäume«, sagte Hethor, »am Ende des Weges.« Das vergessene Volk kannte kein Wort für Masten oder Anlegestelle.
    Die gierigen Schatten strömten hinter ihnen aus der Stadt und gierten nach ihrem Blut. Ihre Schreie vermischten sich mit dem Geräusch berstender Knochen. Die Gefallenen aus Hethors Trupp schienen sich der Verfolgung angeschlossen zu haben, denn die Toten des vergessenen Volkes folgten ihrer Spur, beklagten ihr Sterben, weinten und schienen Hethor die Schuld geben zu wollen. In der aufkommenden Nacht flossen rote Bäche auf den steinernen Kais hinter ihnen her – klebriges, rutschiges Blut, das sie auf ihrer Flucht überholte und einige von ihnen straucheln und schreiend ins Meer stürzen ließ.
    Der Erste der jungen Männer erreichte den Mast, an dem das rochenförmige Luftschiff verankert war. Sie schwärmten den Mast hinauf, wie schon die Säule auf dem Marktplatz, und schreckten dabei einen bleichen Vogel auf.
    Hethor

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