Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring
Welt.«
***
Als sie landeinwärts fuhren, überquerten sie die Ruinen einer weiteren gefrorenen Stadt. Ging man von den Wolken aus eisigem Nebel aus, die um die zerstörten Turmsockel waberten, mussten auch sie dem jüngsten Erdbeben zum Opfer gefallen sein. Nach einem Tag, der sich eher in Minuten als Stunden messen ließ und von einer blassen Sonne erhellt worden war, die sich hoch im Norden versteckte, hatte sich bereits wieder die lange Nacht herabgesenkt. Das Sternenlicht war so kalt, dass selbst die Luft zu klirren schien, aber sein Schimmer erhellte zumindest den Boden. Große Spalten zogen sich durch seine Oberfläche, die hier, weit von der Küste entfernt, von Schnee und Eis bedeckt war. Mehrere Spalten vereinten sich unterhalb des Durcheinanders umgestürzter Türme. Hethor konnte keine Flüchtlinge entdecken und auch niemanden sehen, der zur Rettung eilte – diese Orte waren genauso verlassen wie die senkrechte Stadt damals an der Mauer.
Wer hatte hier gelebt? Engel? Oder eine andere menschliche Spezies wie das vergessene Volk, das Gott erschaffen hatte, um die grünen Tiefen der äquatorialen Dschungel zu zieren?
Hethor war sich nicht sicher, ob er das wogende Chaos der Ozeane den kristallenen Schlachtfeldern aus Eis vorziehen würde. Müsste die Herz Gottes hier landen, wären er und seine Begleiter binnen weniger Stunden tot, wenn nicht eher. Heute hatten die letzten Männer des vergessenen Volkes das Deck verlassen und sich in die Armseligkeit der Kabinen zurückgezogen, um sich mit jeweils fünfzehn Leuten in die kleinen Räume zu quetschen. Die Kälte hatte endlich ihren Widerstand gebrochen, sich niemals in so engen Räumen aufhalten zu wollen.
Hethor betete, dass sie den Südpol ohne weitere Rückschläge fanden. Es gab keinen Spielraum mehr, keine Hoffnung auf ein neuerliches Wunder.
Immerhin funktionierten die geheimnisvollen Maschinen der Herz Gottes auch hier im tiefsten, bitterkalten Süden.
Hethor hatte nicht mehr den Mut, bis Mitternacht zu warten, um festzustellen, wie sehr die Erddrehung sich verzögerte. Stattdessen ging er auch unter Deck, kuschelte sich an Arellya und ergab sich dem kalten Trost seiner Träume.
***
Am Morgen herrschte weiterhin Dunkelheit. So tief im Süden schien die Morgendämmerung eher eine Frage des Gemüts zu sein denn des Übergangs der Sonne durch den Himmel. Hethor wickelte sich in ein halbes Dutzend Decken ein und ging an Deck, um den Kurs mit dem magischen Globus zu kontrollieren und zu sehen, was es zu sehen gab.
Als er am Heck den Niedergang hinaufstieg, wurde ihm sofort bewusst, dass irgendetwas auf dem Schiff sich verändert hatte. Die geheimnisvollen Maschinen trommelten in der Finsternis. Die Herz Gottes durchquerte die Nacht. Ihr Kurs lag weiter auf Süden an, so gut Hethor dies ohne einen Blick auf die Sterne oder auf den Globus in seinem kleinen Unterschlupf sagen konnte.
Aber was war es dann?
Die Schatten, dachte Hethor. Die Schatten an Deck stimmen nicht. Es ist viel zu dunkel für eine wolkenlose Nacht.
Er schaute zur Reling hinüber.
Geflügelte Wilde hatten sich um das Schiff geschart und sperrten die Nachthimmel und das silberne Schimmern des Eises unter ihnen aus. Jetzt, wo er sie sehen konnte, erkannte Hethor, dass sie in der Dämmerung bleich aussahen, fast wie weiße Vögel.
»Verschwindet!«, rief er überrascht und wütend zugleich.
Die Reaktion war das Schwirren zweier Pfeile.
Hethor duckte sich in den Schutz des Niedergang und schrie nach Arellya, Salwoo, Kikiowo, irgendjemandem aus dem vergessenen Volk. Er stürmte in seine Kabine, um die goldene Tafel an sich zu nehmen, die ihm bei den geflügelten Wilden schon in der Vergangenheit geholfen hatte.
An seiner Kabinentür blieb er stehen. »Unser Boot der Lüfte wird angegriffen!«, rief er. »Es sind Vogelmenschen mit Bögen und Schwertern an Deck!«
Die oft albernen, oft merkwürdigen jungen Männer des vergessenen Volkes waren ohne Ausnahme Jäger und Krieger und Überlebende einer außergewöhnlichen Expedition. Im Laufe der gesamten Geschichte hatte keiner ihrer Ahnen sich so weit in die Fremde gewagt. Nun strömten sie an Hethor vorbei, um sich der Bedrohung zu stellen, wobei sie vor Kampfeslust und Wut brüllten.
Hethor duckte sich in die Kabine und wäre von Arellya um ein Haar mit einem Steinmesser aufgespießt worden.
»He!«, rief sie. »Sei vorsichtig, Bote.«
Hethor trat einen Segeltuchballen zur Seite, den Arellya aus einem unbekannten Grund aus den
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