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Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring

Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring

Titel: Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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poliert worden war, denn an den Rändern waren noch Fingerspuren zu sehen. Daher nutzte er den Saum seines Marine-Baumwollhemds, um dem Messing mehr Glanz zu verleihen. Er hauchte es kurz an, polierte es kräftig weiter und wünschte sich, einige der richtigen Öle zur Hand zu haben.
    Nach einiger Zeit kauerte sich Decksbootsmann Lombardo neben Hethor. »Das ist das verdammte erste Mal, dass ich dich auf diesem Schiff was tun sehe, das mir den Eindruck macht, als ob du’s magst oder verstehst, Matrose.«
    »Ich habe viel mit Messing gearbeitet, Schmadding«, entgegnete Hethor leise und wischte über den Rand des Flaschenzugblocks. Dann hielt er ihn zwischen den Fingerspitzen fest und verstaute ihn im Kabelgatt.
    »Welche Art Messing?«, fragte Lombardo. »Waffen, Musikinstrumente, Armaturen?«
    »Präzisionsinstrumente«, lautete Hethors knappe Antwort. »Uhren.«
    Lombardo grunzte und ließ ihn wieder allein. Es war das erste Mal, dass er Hethor nicht geschlagen hatte.
    Hethor hielt das für eine Art Sieg.
***
    Als sich das Ächzen der Wanten und Spieren veränderte, wusste Hethor, dass sich noch viel mehr verändern würden. Das Schiff verhielt sich nicht mehr wie zuvor. Selbst der Geruch des Windes war anders. Hethor verstaute den Rest des Messings und schlich zur Reling hinüber.
    Zahlreiche Inseln lagen unter ihnen im grauen Meer verstreut. Ihre Umrisse ähnelten Halbmonden und Sicheln; sie waren schmal und lang, mit zahlreichen Bögen und Buchten. Keine von ihnen schien besonders hoch zu sein. Die Bassett ging in den Sinkflug, und ihre großen Propeller legten sich mächtig ins Zeug – Hethor wusste inzwischen, dass der Treibstoff für die Maschinen leichter ersetzt werden konnte als der Wasserstoff, der bei einer Entlüftung entwich. Unter sich konnte er Dutzende, vielleicht sogar Hunderte weiß getünchte, verstreut liegende Häuser zwischen den Bäumen erkennen. Einige der Bäume schienen Kiefern zu sein; andere, mit hohen Stämmen und buschartigen Kronen, waren Hethor fremd.
    Vier vertraute Holztürme ragten in einem der Häfen gen Himmel. Es waren die Masten von Luftschiffen.
    »Bermuda«, sagte ein Matrose, der sich neben Hethor über die Reling lehnte. »Hier das Schiff zu wechseln würde keinen Sinn machen. Sonst ist es aber ganz hübsch hier.«
    Bermuda. Hethor hatte davon gehört und mit dem Finger die kleinen Punkte auf Karten des Atlantiks nachgezeichnet, die er in der Bibliothek der Lateinschule in New Haven gefunden hatte. Dasselbe hatte er bei den Punkten getan, die Hispaniola, Kuba, Jamaica und fünfzig andere Inseln der Nördlichen Hemisphäre dargestellt hatten.
    Er hatte Inseln immer für eine Art Zauberei gehalten: Leben, das aus dem unwirtlichen, tosenden, salzigen Ozean hervorbrach – eine Randexistenz in der wässrigen Wüste. Selbst auf diesem Breitengrad hatte sich die Krümmung der Messing-Schienen der Erde ein wenig verschoben und wirkte flacher.
    »Du wirst sie sehen, bevor wir Georgetown erreichen, Junge«, sagte der Matrose, der Hethors Blick gefolgt war. »Dort kannst du das Schiff wechseln, wenn du Lust hast, aber so weit südlich gibt’s bloß Brüllaffen, Kopfgeldjäger und Wesen, die von der Mauer heruntergefallen sind. Näher kommst du an die andere Seite der Welt nicht heran.« Sein zahnloser Mund klaffte auf, als er meckernd lachte. »Es wird noch ganz schön dauern, bis wir einen vernünftigen englischen Hafen mit ordentlichem englischem Essen und unanständigen englischen Mädchen wiedersehen.«
    Die Bootsmannspfeife ertönte und spielte eine neue Melodie, die Hethor in den wenigen Tagen an Bord des Luftschiffes noch nicht gehört hatte. Sie näherten sich nun dem Ankerplatz. Die meisten Decksratten hatten jetzt zu tun. Hethor huschte zurück an seinen Posten am Kabelgatt auf der Back. Dort oben war er ganz allein. Die Maschinen schnauften lautstark, und die Propeller heulten auf, als die Bassett mithilfe der Steuerräder nach unten glitt und mit gehissten Leesegeln ihre Position am Mast anvisierte.
    Als das Luftschiff in den Wind gierte, dröhnte der Tragkörper über ihnen. Hethor sah, wie ein Mann vom Anlegemast eine Harpune nach oben schoss – einen großen, kurzstieligen Stachel mit stumpfer Spitze. Sie flog über den Bug und kam rutschend auf dem Vordeck zu liegen, wurde aber rasch zurückgezogen und verfing sich in der stahlverstärkten Bugreling.
    Eine Gruppe Decksratten rannte zu der Harpune, um sie zu befestigen, und schnürten das Halteseil auf das

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