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Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring

Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring

Titel: Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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fast gefallener Engel auf dem letzten Teil seines Sturzes zur Erde.
***
    Die nächsten Tage bestanden aus verschwommenen, fiebrigen Erinnerungen aus Farben und Schmerzen, und obwohl alle Farben stets einen Hauch von Grün besaßen, zog fast das gesamte Spektrum des Regenbogens vor Hethors Augen vorbei. Einmal erwachte er und glaubte sich von langen schwarzen Zungen bedeckt, erkannte dann aber, dass es sich um Egel handelte, die ihn aussaugten. Hethor schrie sich in den Schlaf.
    Später betrachteten ihn besorgte, strahlend gelbe Augen aus einem behaarten Gesicht. Die Wimpern des fremden Wesens waren seinen eigenen so nahe, dass sie einander fast zu berühren schienen. Flüchtig strich eine Hand über seine Stirn. Er roch den Duft von Blumen. Dann hörte er weitere Worte in der klickenden, pfeifenden Sprache. In diese Sprache eingewoben war das Rattern der Getriebe und Sphären, das Hethor stets am Rande seiner Wahrnehmung verfolgt hatte, seitdem er im Dschungel wieder die ersten Geräusche hatte hören können.
    Eines Morgens erwachte er mit brennendem Durst. Sein Kopf war klar, aber er fühlte sich sehr schwach und konnte seine Arme kaum bewegen. Die Egel waren verschwunden, und seine Hände waren in große Blätter gewickelt worden. Ihre Haut fühlte sich angespannt und fettig an. Er lag in einer schlichten Hütte, kaum mehr als ein kleiner Schuppen, dem zusammengeknotete Farnwedel und Kletterpflanzen eine Atmosphäre der Ungestörtheit verliehen. Vielleicht sollten sie aber einfach nur Schatten spenden. Draußen war heller Tag, aber das Licht in Hethors Zuflucht besaß einen einheitlichen Grünton, der wie die Reflektion einer Wasseroberfläche schimmerte.
    »Wasser.« Hethor war überglücklich, seine eigene Stimme zu hören, auch wenn sie sich so rau und trocken anfühlte wie ein alter Pflasterstein. »Bitte, hört mich jemand? Wasser.«
    Einer der behaarten Männer kam zu ihm herein. Nein, dachte Hethor, es ist eine Frau. Er war sich nicht sicher, warum er das wusste, denn sie war genauso schlank wie jeder junge Bursche, und von einem Busen war kaum etwas zu sehen. Sie trug lediglich ein Stück Stoff über dem Schritt, um ihr Geschlecht zu verdecken.
    Nicht, dass Hethor hingeschaut hätte.
    Sie hatte strahlend gelbe Augen, die wie flüssige Scherben aus Sonnenlicht glänzten, und ihr Gesicht unterschied sich kaum von dem eines Affen. Sie trug einen großen Flaschenkürbis bei sich, in dessen Oberfläche komplexe geometrische Formen eingeritzt waren, die möglicherweise Tiere oder eine Dschungellandschaft darstellten; vielleicht aber waren sie einfach nur eine abstrakte Zeichnung der Mysterien des Lebens. Der Duft von Blumen folgte ihr in Hethors kleine Hütte. Es war ein vertrauter Duft, der ihn in seinen Fieberträumen begleitet hatte.
    Die behaarte Frau setzte sich auf den Rand der Liege, auf der Hethor lag. Er versuchte sich aufzurichten, um sie zu begrüßen, aber die Anstrengung überforderte ihn und ließ ihn laut husten. Stechende Schmerzen jagten durch seine Rippen und die Bauchmuskeln.
    Sie berührte seine Stirn und strich sehr lange und rhythmisch darüber, bis Hethor glaubte, dass es sich bei ihrer Spezies um eine Art Sprache handelte. Sie tauchte ihre Hand in den Flaschenkürbis, um ihm Wasser über Stirn und Wangen zu wischen, und hob den Kürbis dann an seine Lippen, genau im richtigen Winkel, damit das Wasser nicht auf sein Gesicht lief.
    Hethor nahm einen langen Schluck. Das Wasser schmeckte warm und süß, fast wie Nektar, aber sein Durst war so groß, dass er die trübste Brühe getrunken hätte. Die behaarte Frau betrachtete ihn sorgfältig und hielt den Flaschenkürbis weiterhin im richtigen Winkel, damit er seinen Durst stillen konnte.
    »Danke«, sagte Hethor schließlich und zog seinen Kopf vom Flaschenkürbis zurück. Er versuchte sich über die Lippen zu wischen, spürte aber nur die wächserne, glitschige Oberfläche der Blätter, in die seine Hände eingewickelt waren.
    Als die Frau lächelte, blitzten scharfe Reißzähne und kräftige Mahlzähne. Sie wischte ihm mit dem Rücken ihrer freien Hand über den Mund. Erst jetzt wurde Hethor sich bewusst, dass die kleine, behaarte Frau sehr kräftig sein musste, um den Flaschenkürbis in einer Hand halten zu können.
    »Danke«, sagte er noch einmal.
    Sie gab klickende Pfeiftöne von sich, unter denen wieder das schwache Rattern der Zahnräder zu hören war. War sie eine Maschine? Halluzinierte er? Oder war sein Gehör dermaßen geschädigt,

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