Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring
dass jedes Geräusch diesen Unterton besaß?
»Das stimmt wohl.« Ungeschickt, wie er im Augenblick war, nahm Hethor ihr freies Handgelenk zwischen seine blattumhüllten Hände. »Ich heiße Hethor. Heth-or.«
Als sie munter weiterplauderte, schien es fast, als ob sie lachte. Schließlich stand sie auf und stellte den Flaschenkürbis auf den Boden neben der Liege. Mit einem letzten Blick aus ihren sonnengelben Augen verließ die behaarte Frau die Hütte.
Erschöpft überließ Hethor sich wieder seinen Träumen.
***
Als er das nächste Mal erwachte, stieg ihm der Duft eines Eintopfs in die Nase, der ähnlich roch wie der, den er bei William of Ghent bekommen hatte. War das wirklich seine letzte richtige Mahlzeit gewesen? Kein Wunder, dass er sich so schwach fühlte. Außerdem juckte sein Gesicht. Hethor verdrehte die Augen, um herauszufinden, ob ihm endlich ein vernünftiger Bart gewachsen war.
»Hallo«, versuchte er zu rufen, aber seine Stimme ließ ihn erneut im Stich. Es war immer noch taghell, und das Licht in seiner Hütte funkelte grünlich.
Draußen war beträchtlicher Lärm zu hören, gefolgt von Geplauder und Gelächter. Die behaarte Frau kehrte mit einer flachen Holzschüssel und einem grob geschnitzten Löffel zurück. Neben seiner Liege ging sie in die Hocke und fütterte ihn vorsichtig mit einem schmackhaften Eintopf, einen Löffel nach dem anderen. Obwohl Hethor riechen konnte, dass der Fond mit Fleisch gekocht war, gab die behaarte Frau ihm nur das Gemüse und die Brühe zu essen. Sie lächelte, und ihre Augen funkelten ihn an.
Er konnte sich nicht daran erinnern, dass sich jemand so liebevoll um ihn gekümmert hatte. Wenn er in Meister Bodeans Werkstatt krank gewesen war, hatte man ihn einfach mit Wasser und Brot in seine Dachbodenkammer geschickt, damit er alles ausschwitzte und vor allem, damit er Bodean und seine Söhne nicht ansteckte. Und an das Leben mit seiner Mutter konnte Hethor sich kaum erinnern.
Nun aber gab es eine Hand, die wie zufällig auf seinem Arm ruhte oder sein Kinn hochhob, Augen, die ihm nahe waren, und ein freundliches Lächeln. Irgendwie schien es für Hethor ohne Bedeutung zu sein, dass die Frau klein und behaart war wie ein Dschungelaffe und eine völlig andere Spezies Mensch verkörperte. Keine Frau hatte je ihre gesamte Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet, sah man von Bibliothekarin Childress ab, und das waren nur wenige Stunden gewesen.
Diese kleine Frau hier, dachte Hethor, würde die Bibliothekarin gutheißen.
Erst jetzt wurde er sich bewusst, dass er immer noch fiebrig sein musste, sonst würde er auf die Anwesenheit und die Berührung einer Person, die kaum mehr war als eine Affe, anders reagieren. Seine Logik, die ihr Zuhause an der Lateinschule in New Haven hatte, kämpfte eine Zeit lang mit seinen Emotionen, während er mit dem köstlichen Eintopf gefüttert wurde, bis sein Körper genügend Wärme und Trost erfahren hatte und ein Gefühl der Sattheit ihn dazu brachte, nicht weiter zu essen.
Als die Frau ihm nach dem Essen den Mund abwischte, stellte Hethor eine Frage, die ihm schon lange durch den Kopf gegeistert war.
»Wo ist meine goldene Tafel?«
Sie pfiff und blickte ihn aufmerksam an.
Hethor deutete mit seinen blattumhüllten Händen ein Rechteck an. »Meine Tafel« , sagte er, als könnte das laute Aussprechen seiner Worte ihr dabei helfen, ihn zu verstehen.
Die behaarte Frau tschilpte. Dann griff sie unter ihn, wühlte mit der Hand durch das raschelnde Bettzeug seiner Liege und brachte die Tafel zum Vorschein. Sie starrte einen Augenblick darauf und drehte sie in den Händen. Hethor konnte die nichtmenschlichen Züge der Frau zwar nicht mit Sicherheit deuten, doch es schien ihm, als sähe er einen Ausdruck gemischter Gefühle in ihrem Blick, zu denen auch Gier und Ehrfurcht gehörten. Schließlich reichte sie ihm die Tafel.
»Danke«, sagte er. »Ich bin Hethor.« Er klopfte sich auf die Brust, die Tafel sicher in der Beuge seines Ellbogens. » Heth-or.«
Sie lachte wieder zwitschernd und imitierte seine Stimme dann recht passabel: » Heth-orr.«
»Und du?«, fragte er und deutete auf sie.
Sie machte klickende und pfeifende Geräusche und sagte wieder mit seiner Stimme: »Arellya.«
Hethor spürte, wie ein Lächeln die Haut auf seinen Wangen spannte. »Arellya. Ein wunderschöner Name.«
Sie nahm die Schüssel und ging.
Er betrachtete die Tafel eine Zeit lang. Sie schien mit einem Mal mehr Sinn zu ergeben. Irgendwo in den Tiefen seiner
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