Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring
zu erkennen war, dass ihm sämtliche Zähne fehlten. »Loquamur«, sagte der alte haarige Mann. Lass uns reden.
Sie führten ihr Gespräch in gebrochenem Latein fort, redeten aber häufig aneinander vorbei. Immerhin hatten sie einen gemeinsamen Nenner, der Hethor bei seinen Versuchen, mit Arellya zu sprechen, immer gefehlt hatte.
»Du bist Hethor« , sagte Kalker.
»Ja. Ich Hethor.«
»Bist du Engel?«
»Nein! Mensch! Ich bin Mensch.«
»Gottes Bote.«
»Kein Engel.«
»Bote. Einer, der spricht. Bringst Gottes Wort.«
Hethor musste sich eingestehen, dass der alte haarige Mann, der hier tief im Dschungel auf der anderen Seite der Äquatorialmauer lebte, fernab von Rom oder der Lateinschule in New Haven, die Sprache besser beherrschte als er selbst.
»Nein« , sagte Hethor. »Nicht Gottes Wort.«
Der alte Mann versuchte es erneut. »Goldene ...«
»Die Platte« , sagte Hethor, obwohl es das falsche Wort war. Wie hieß das lateinische Wort für »Tafel«?
Kalker nickte. »Gottes Wort auf Gold. Du bringst Gold hierher. Du bringst Gottes Wort!«
Woher wussten diese Wesen, dass es Gottes Wort war? »Bist du Christ?« , fragte Hethor.
Kalker lachte zwitschernd und drehte sich dann um, um Arellya irgendetwas ausführlich zu erklären. Schließlich lachte auch sie. Beide blickten ihn an, und ihre hellgelben Augen strahlten wie zwei Paar Zwillingssonnen.
»Christus nicht für uns« , sagte Kalker schließlich. »Christus für Menschen. Nur für Menschen.«
»Christus starb für alle Menschen« , betonte Hethor.
»Wir seine keine Menschen« , sagte Kalker. »Wir sind ...«
»Was?«
Kalker sprach zwitschernd mit sich selbst. Dann erwiderte er: »Wir sind das vergessene Volk, keine Menschen.«
»Ich bin ein Mensch« , sagte Hethor. »Sag deinen Leuten, sie sollen sich nicht mehr vor mir verbeugen.«
»Sie verbeugen sich nicht vor einem Menschen« , antwortete Kalker. »Sie verbeugen sich vor dem Boten, der die Worte Gottes gebracht hat.«
***
Am Abend nahm Hethors Eindruck, dass er das Rattern der Zahnräder selbst im kleinsten aller Dinge wahrnahm, weiter zu. Klein und haarig tanzte das vergessene Volk vor einem großen Lagerfeuer und ähnelte dabei Kindern, die sich als Affen verkleidet hatten. Sie warfen Obst und Fleisch, selbst ihre Speere und Lendenschurze in die Flammen. Einige warfen sich zu Boden und paarten sich, sodass Hethor den Blick abwenden musste. Trommeln schlugen einen pochenden Rhythmus, der dieser Nacht zum Herzschlag wurde. Die Sterne über ihnen schienen im Takt der Schläge zu flackern. Selbst der leuchtende Faden der Mondumlaufschiene schien zu schwanken, ja, der ganze Himmel schien zu vibrieren. Mit Klicken und Pfiffen sang das vergessene Volk, und die Musik bildete den Kontrapunkt zu seinem Tanz.
Das Essen über dem Feuer knisterte und zischte, und der Duft, der davon aufstieg, hätte einem Festmahl der Engel zur Ehre gereicht. Der Schweiß der Angehörigen des vergessenen Volkes duftete ebenso, ein wenig süßlich, und war oft genug eine Herausforderung für Hethors Nase. Käfer von der Größe einer menschlichen Hand flogen aus dem Dschungel herbei in die Flammen und zerplatzten wie kleine Feuerwerkskörper, als sie in der Hitze verbrannten. Riesige Motten, auf deren Flügeln weinende Gesichter zu sehen waren, kreisten über ihnen. Geisterhafte Vögel raschelten und krächzten in den Bäumen.
Hethor saß vor der Hütte, wo Arellya sich in letzter Zeit regelmäßig hingehockt hatte, um ihn zu beobachten. Dort lauschte er dem Rattern. Selbst der Wind schien nun eine metallene Vorrichtung zu sein, und die knisternden Flammen gierten mechanisch nach allem, was das Feuer weiterbrennen ließ. Jeder Angehörige des vergessenen Volkes bewegte sich mit dem Klicken einer Maschine, was einen weiteren Kontrapunkt zu ihrer Klick-und-Pfeif-Sprache und ihren schlurfenden Schritten bildete. Hethor kam sich vor wie ein Augenzeuge einer großen Konferenz von Metallmenschen, einer Art Hexensabbat fleischlicher Maschinen, die sich in ihrem Dschungelversteck zum Gebet versammelten.
So wie er damals in seinem schmalen Bett auf Meister Bodeans Dachboden dem Rattern der Welt zugehört hatte, lauschte Hethor nun Geräuschen, die um seine Aufmerksamkeit wetteiferten. Seine erst seit Kurzem überwundene Taubheit ließ ihn weiterhin zutiefst dankbar dafür sein, dass er wieder hören konnte, auch wenn seine Ohren nun mit einer Art Metallfilter versehen worden waren.
Aber war die Schöpfung nicht in ihrer
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