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Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)

Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Die Räder der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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mussten.
    »Hier ist niemand«, flüsterte er.
    »Das weiß ich.« Childress klang verärgert.
    Wang hielt den Mund. Die Maske sah sich nachdenklich um. Am anderen Ende des Raumes führte eine Tür hinaus, während auf der linken und rechten Seite Flure in die Dunkelheit führten.
    Niemand bewegte sich.
    Und dennoch hatte er das bestimmte Gefühl, beobachtet zu werden. Verbargen sich im Schatten Menschen? Wenn dies ein Ort wie die Verborgene Stadt war, denn würden sich in den Mauern, unter den Fußböden, selbst in den Säulen unsichtbare Zuhörer verbergen.
    Doch auf eine Weise war Wang sicher, dass der Feind hier sich nicht verbarg. Wenn, dann war er ihnen viel zu nah.
    »Ihr könnt nun herauskommen,«, rief Childress mit klarer, deutlicher Stimme, als ob sie Kinder aus ihrem Versteck herbeirief.
    Wang zuckte leicht zusammen, als sich die Schatten zu bewegen begannen.
    Kitchens
    Sie waren unbemerkt über Portsmouth hinweggeflogen. Portsmouth! Er hatte sein Ziel fast erreicht. Er fühlte sich miserabel. Kopfschmerzen drangen wie Messerstiche in seinen Schädel, aber immerhin waren die hellen Kreise vor seinen Augen verschwunden. Paolina, dieser Engel der Barmherzigkeit, hatte ihm so lange Sauerstoff und Wasserstoff gebracht, bis er beides zurückgewiesen hatte.
    Es gab für jeden Mann eine Grenze.
    Nun sah er die Bäume weit unter ihnen vorbeiziehen; aufgeraute grüne Texturen, die sich von den verschwommenen Streifen der Felder unterschieden. Das Mädchen stellte sein Gerät neu ein, das kleine, seltsame Stück Magie, das sie alle so weit gebracht hatte.
    Ohne ihre Hilfe wäre er schon vor langer Zeit gescheitert. Ohne sie würde die Queen in alle Ewigkeit gefangen bleiben. Ohne sie könnten sie selbst jetzt noch hier in der Luft sterben.
    »Denken Sie an den Palast, nach dem Sie suchen«, sagte sie, und der leichte portugiesische Akzent in ihrer Stimme faszinierte ihn.
    Er versuchte, all seine Erinnerungen an Blenheim Palace hervorzuholen. Ein architektonisches Wunderwerk, ein Steinmonstrum, das Mausoleum einer nicht-ganz-so-toten Queen, ein Ort, an dem wütende Schotten lebten und ernste Männer, die ihre Mitmenschen zu verhören pflegten. Korridore mit Marmorfußböden, in denen die Geister von Stimmen zu flüstern schienen, abgedecktes Mobiliar, der Gestank von Blut und eine Landschaft voll derber englischer Bauern, die die Geheimnisse ihrer Herrn zu schützen wussten. Eine Stadt, die aus einem Highlander-Regiment bestand …
    Etwas kitzelte in Kitchens’ Kopf. Wie ein Gebet, nur rückwärts gesprochen, als ob eine Stimme von außen in ihn hineingreifen wollte. Er versuchte, sich den Palast vorzustellen, wie er bei seiner Ankunft ausgesehen hatte: die Straße von Woodstock dorthin, wo es Kurven gegeben hatte, wie das Unterholz und die kleinen Wälder angelegt waren. Gab es eine Mauer? War die Zufahrt geschottert oder gepflastert? Wie viele Kilometer hatte er von London zurückgelegt?
    Eine Karte Englands schob sich durch seinen Verstand. Seine Arbeit hatte sich im Wesentlichen mit Dingen befasst, die sich jenseits von Albions Küsten ereigneten. Die Heimat bestand hauptsächlich aus Bahnhöfen, Büros, Marinestützpunkten, Fabriken – Ressourcen, die es einzusetzen galt, Örtlichkeiten, wo wichtige Männer aufzusuchen und ihnen Bericht zu erstatten war.
    Dass England ein tatsächlicher Ort war, war ihm stets entgangen.
    Nun flog er schneller als ein Vogel über diese Landschaft, glitt an Wolken vorbei und sah auf kurvenreiche Landstraßen und die Ziegelsteinwände der tief in die Landschaft getriebenen Bahndämme hinab. Überall schienen sich Schatten zu bilden, als ob die Sonne sich über ihnen unbeherrscht drehte. Die Welt wurde zu einem Farbklecks, dann stand Blenheim Palace in der Mitte vor ihm, einer zauberhaften Täuschung in einem Odeon gleich.
    »Danke«, sagte sie und er zitterte.
    Gashansunu reichte ihm Wasser. »Hier, das werden Sie benötigen. Wenn ich nur die richtigen Kräuter hätte …«
    Paolina war schon auf dem Weg zu Boas, um sich mit ihm zu besprechen.
    Bald , dachte Kitchens. Bald, meine Queen. Ich bin später als erhofft, aber ich bin hier, um Euch in Eurer Not beizustehen.

Zwanzig
    Fluche dem König nicht in deinem Herzen und fluche
dem Reichen nicht in deiner Schlafkammer; denn die Vögel des
Himmels führen die Stimme fort, und die Fittiche haben,
sagen’s weiter.
    Prediger 10:20
    Boas
    »Ein wenig nach links«, sagte Paolina zu Levine. Der Seebär war Rudergänger und hatte einen

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