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Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)

Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Die Räder der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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Paolinas Seite aufzuhalten. Das konnte sie nachvollziehen. Ein Luftschiff war eine typisch männliche Domäne. Selbst den größten Prahlhans der Besatzung zu übertreffen sendete ein deutliches Zeichen.
    Allerdings musste man zu ihrer Verteidigung sagen, dass sich diese Männer als recht freundliche Truppe erwiesen hatten. Paolina war sich nicht sicher, ob die Männer der Erinyes durch ihre Verluste entmutigt waren oder ob es einfach in ihrer Natur lag, sich weniger männlich zu verhalten.
    In der knisternden Luft, die an vielen Oberflächen kleine Eiskristalle hinterließ, waren nur Boas und die beiden Frauen wach und bewegten sich auf Deck. Erneut hatte er sie so weit nach oben gebracht, dass die Motoren kurz vor dem Ersterben standen. Die Welt schien auf merkwürdige Weise ganz weit von ihnen entfernt zu sein.
    »Ich werde allein weiterreisen«, teilte ihnen Gashansunu mit. Sie hörte sich bedrückt an.
    Da Paolina ihre Worte richtig deutete, fragte sie: »Hast du dein wa weiterhin gesucht?«
    »Ja.« Es folgte eine lange Stille, als die Hexenmeisterin damit kämpfte, ihren Gedanken Ausdruck zu verleihen. Paolina wartete die Stille ab – sie waren unter keinem Zeitdruck, nicht, bis sich die Stolen im Anflug auf England befand und sich die Verteidigungsstreitkräfte des Empire auf sie stürzten. Schließlich sprach sie doch weiter: »Ich habe dir gesagt, dass ich glaube, gestorben zu sein.«
    »Ich glaube nicht, dass du dich im Land der Toten befindest«, sagte Paolina höflich. »Dies ist die Nördliche Hemisphäre, nicht die Hölle.«
    »Die Schweigende Welt ist für mich nun leer. Dass mein Körper in der Schattenwelt noch atmet, ist nur der Beweis dafür, dass das Fleisch auf seinem Fortdauern besteht.«
    »Dem kann ich nicht widersprechen. Du scheinst dich einer Philosophie zu verschreiben, die für die Wirklichkeit unseres Daseins irrelevant scheint. Aber ich gehöre nicht zu deinem Volk.«
    »Das liegt daran, dass du das eigentliche Wesen der Wirklichkeit nicht verstehst.« Gashansunu sah zu Boas hinüber. »Er hat kein wa , und es besteht für ihn noch nicht einmal die Möglichkeit dazu. Er existiert in dieser Welt ohne den geringsten Bezug zur anderen. Du trägst das Potenzial eines wa in dir, glaube ich. Du kannst eins mit dir sein, ganz, ein vollständiges Selbst. Lange bin ich davon ausgegangen, dass die Vorstellungen der Stadt die einzig richtigen und natürlichsten waren, dass unser Verständnis des wa den richtigen Weg darstellte, sich als Person zu empfinden. Ich hätte mir lieber die Daumen abgeschnitten, als mich so einsam fühlen zu müssen wie jetzt.«
    Ungelenk nahm Paolina Gashansunu in ihre Arme. Die Hexenmeisterin wehrte sich zuerst dagegen, ließ es dann aber geschehen. Obwohl Paolina mit ihrem Kopf kaum an Gashansunus Schultern reichte, teilten die beiden mehrere Atemzüge lang dieselben Vorstellungen.
    Paolina ließ die andere Frau los. »Ich kann dir über das Schicksal deines wa nichts sagen und auch nicht verstehen, was dies für dich bedeuten könnte. Ich kann dir nur sagen, wenn du trauern und eine Träne vergießen kannst, bist du in dieser Welt noch nicht tot.«
    »Das werden wir schon bald alle sein, so scheint es mir«, sagte Gashansunu mit einem verbitterten Lachen.
    »England wird uns allen vermutlich den Tod bringen, ja. Eine merkwürdige Art der Ironie.«
    Nach einem Augenblick ermunterte Gashansunu Paolina weiterzusprechen, indem sie sie fragte: »Was für eine Ironie?«
    »Als ich mich entschloss, Praia Nova zu verlassen, meinen Geburtsort, da war mein ganzer Ehrgeiz darauf ausgerichtet, England zu erreichen und mich dem Hofe Queen Victorias zu präsentieren. Nun ja, jetzt bin ich endlich hier. Wir fahren nach England und werden den königlichen Hof aufsuchen, aber das unterscheidet sich so sehr von dem, was ich noch vor wenigen Monaten beabsichtigt hatte. Endlich erreiche ich den Ort, der immer mein Ziel gewesen ist, und nun ist mir meine Ankunft gleichgültig.«
    Die Stolen überflog die Südküste Englands spät am nächsten Morgen. Paolina wusste, dass die ihnen fehlenden Karten bei der Suche nach Blenheim Palace ein ernsthaftes Problem darstellten. Kitchens hatte ihnen eine grobe Zeichnung angefertigt, aber sie würden mehr als das benötigen, um ihr Ziel zu finden.
    »Das muss Portsmouth sein«, stellte der Sonderbeauftragte wenige Minuten später fest, als er über die Heckreling nach unten sah. »Bei allen Göttern, ich wünschte mir, wir hätten eine vernünftige

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