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Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)

Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Die Räder der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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als das Volk von JHWH über sein Königreich herrschte, beschützt durch seinen Herrn, mit unermesslicher, stets umkämpfter Macht.
    Als ob seine Gedanken einem Befehl gleichgekommen wären, zersplitterte das alte Holz und umgab ihn mit einer Wolke aus Staub und Holzfasern. Hinter Boas murmelte jemand etwas. Als er sich umdrehte, erkannte er Chin Ping, der von einem halben Dutzend Männer und Chin Yuen begleitet worden war. Sie alle standen in der Dunkelheit vor ihm und sahen ihn mit funkelnden Augen an, neugierig, was er als Nächstes tun würde.
    Dies ist meine Geschichte, dachte Boas, aber er sagte nichts zu den bewaffneten Feinden, die sich hinter ihm versammelt hatten. Entschlossen beugte er sich hinab, betrat die Felsspalte und durchschritt damit ein Tor zur Vergangenheit.
    Chin Yuen entzündete einen Zunderstab, und die knisternde Flamme, die die Höhle erhellte, ähnelte Artilleriefeuer, das man in der Ferne aufblitzen sehen konnte.
    Es war ein kleiner Raum, kaum mehr als eine breite Spalte in der Felswand. Vor Boas befand sich ein Altar, der aus drei grob behauenen Quadern bestand; sie waren aus dem Fels geschlagen und zu einem Tisch übereinandergestapelt worden. Staubüberzogene Fäden ließen die Überreste eines Altartuchs erahnen. Eine zerbrechlich wirkende Keramikleuchte stand an einer Tischkante. In der Mitte lag ein Bündel, das in rissiges Leder eingeschlagen war und leicht schräg lag, als ob der Kohen es fallen gelassen hätte und zu schnell geflohen wäre, um noch sicherstellen zu können, dass es ordentlich auflag.
    Erneut war geflüstertes Chinesisch hinter ihm zu hören; dann sprach Chin Ping ihn an: »Ist das Ort von Messingvolk?«
    »Nicht im eigentlichen Sinne«, sagte Boas geistesabwesend. Er war wieder müde, auf diese so typisch menschliche Art, doch innerlich ließ ihn die Vorahnung erzittern, dass die Zeit davonlief und ihm ein Schicksal bevorstand, als ob der Mond selbst vom Himmel herabstürzen könnte. »Doch das ist der Geburtsort meiner Nation.«
    Er strich mit dem Finger über die Leuchte, die sich vermutlich genauso in Luft auflösen würde, wie es die Tür schon getan hatte. Aber sie blieb unter Boas’ zarter Berührung dennoch unversehrt. Er nahm einen der noch erhaltenen Altartuchfäden zur Hand. Silber, vielleicht Gold, das in einen Stoff eingenäht worden war, der die Zeit nicht überdauert hatte.
    Schließlich das Leder.
    Das Bündel wog schwer in seiner Hand, und Boas umschlang es zärtlich mit seinen Armen, als ob er ein verletztes Tier fortzutragen suchte. Es schien ihm, als ob es in den Griff eines Messing eingepasst worden war. Alle Messing entstammten nun mal derselben Gussform – Boas selbst war mit Abstand das seltsamste Exemplar seiner Spezies, was er Paolina und ihrem Willen zu verdanken hatte, doch glich sein Äußeres den anderen Messing praktisch bis aufs Haar.
    Könnte sie doch nur jetzt bei ihm sein! Wo er etwas übersehen mochte, weil er sich ablenken ließ, achtlos war oder vielleicht zu begeistert, da würde sie Hinweise erkennen und verstehen, die er schlicht nicht nachvollziehen konnte.
    Boas faltete vorsichtig das Leder auseinander. Nur die funkelnden Augen seiner Feinde würden bezeugen, welche Geheimnisse sich in ihm verbargen.
    Wang
    Der Maat Wu, der Wang letzte Nacht auf das Schiff gescheucht hatte, stand vorne am Bug. Der Mönch hatte sich an diesem Morgen noch nicht blicken lassen, und der Katalogisierer fragte sich, wo sie wohl steckte. Die Fortunate Conjunction war klein, vielleicht zwanzig Meter in der Länge über alles, zwanzig Schritte für einen Mann, der es nicht eilig hat. Außerdem lag sie tief im Wasser; ihr Ruderhaus war der höchste Punkt. Sie war ordentlicher und schneller als jedes andere Schiff, auf dem Wang jemals gereist war.
    »Sir«, ergriff Wang das Wort.
    Wu spuckte in Windrichtung und drehte sich dann zu Wang um.
    Der Katalogisierer wusste, dass er ein dicklicher, blasser Mann war, der viel zu viel Zeit auf einem Hocker und zu wenig Zeit draußen verbracht hatte. Der Maat hingegen war ein Mann, dem es bestimmt war, die Weltmeere zu bereisen. Die unglückliche Schattierung seiner sonnengebräunten Haut, die Wang als einen einfachen Bauern gebrandmarkt hätte, verwandelte sich bei Wu in ein Symbol des Heldentums, das kühne Taten und vergossenes Blut erahnen ließ – die Handlungen des Rechtschaffenen im Dienste des Kaisers.
    Wang mochte Blut nicht.
    »Sie wurden gerufen, nicht geschickt«, sagte Wang nach einiger

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