Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Räder des Lebens

Die Räder des Lebens

Titel: Die Räder des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
Vom Netzwerk:
flachkieligen Fischerbotten auf, die an der Küste entlangfuhren und die Meerenge durchquerten. Nur an der Long Wharf konnten Dampfschiffe, Klipper und Schiffe der Royal Navy anlegen.
    Vor einigen Jahren hatte ein Bündnis aus Handelsleuten und Spediteuren einen großen Landungssteg mitten in den Hafen gebaut, kurz vor dem Ende der Long Wharf, um das Löschen und Umschlagen der Ladungen zu erleichtern. Im Augenblick liefen Vorbereitungen, um beide Bauwerke zu verstärken und damit zu ermöglichen, dass Züge beide Teilbereiche erreichen konnten. Damit würde der teure Umschlag mit Hilfe von Pferden entfallen, die die Waren von den Schiffen zu den Frachtumschlagplätze und dem Hafenviertel transportierten.
    Die Möwen flatterten in großen grauen Wolken durch die nahende Dunkelheit. Der Gestank ihres Kots hing wie feuchter Ammoniak in der Luft. Das Hafenviertel ist eine riesige Müllhalde, dachte Childress. Nur wurde hier der Müll nicht ordentlich untergepflügt, damit er wenigstens im Boden vermodern würde.
    Es war purer Wahnwitz zu glauben, sie könnte auf der Long Wharf jemanden, irgendjemanden finden. Selbst jetzt, wo sich der Arbeitstag seinem Ende zuneigte, tummelten sich noch Hunderte Hafenarbeiter mit ihren Karren und Handkarren am Kai. Außerdem Pferde, Hunde, Matrosen und Marinesoldaten, Laufburschen, Essiggurkenverkäufer, Frauen von fragwürdiger Tugendhaftigkeit, Zollbeamte, stellvertretende Hafenmeister und all die anderen Leute, die jeder große Hafen anzieht. Childress hatte das schon immer gewusst.
    Childress konnte niemanden entdecken, aber sie würden sie finden. Es war eine sinnvolle Annahme, dass die weißen Vögel über ein Schiff verfügten, das zu den Dutzenden an der Long Wharf gehörte. Ihr geheimes Reich aus unbezahlbarem Wissen würde dort gewinnbringend umgesetzt werden.
    Die avebianco hatten alle ein gemeinsames Ziel – die unauffällige Förderung des Spiritualismus. An verschiedenen Orten firmierte die Bewegung unter verschiedenen Namen, selbst im Britischen Empire, aber der Zweck war immer derselbe: Gottes Werk auf der Welt anzuerkennen und zu bewahren, während die Anstrengungen der Menschen vorangebracht werden sollten. Die Rationalisten sahen diesen Blickwinkel als säkularen Spiritualismus an, während die Orthodoxen sie auslachten und sie für geistig und seelisch umnachtet hielten.
    Das war für die weißen Vögel und ihre Verbündeten ohne Belang. Nur ein Dummkopf konnte die Messingarbeit am Himmel betrachten und Gottes Werk leugnen. Nur ein Idiot brachte es fertig sich die Messingarbeit im Himmel anzusehen und Gott als bedeutungslos zu bezeichnen. Childress und ihr kleiner Anteil am ruhigen Wissen der Bibliothekare war damit zufrieden gewesen anzustoßen, wo ein Schubs notwendig gewesen war, zu unterrichten, wo dem Unterricht gefolgt wurde und zu berichten, was bemerkenswert war.
    Es drehte sich alles um Hethor und seine Feder, das wusste sie. Damals war die Welt in ihren Grundfesten erschüttert worden, und turmhohe Flutwellen hatten die Küstenlinien der Nördlichen Welt überschwemmt. Dass Neuengland ein schreckliches Schicksal erspart blieb, konnte man nur als Wunder bezeichnen, aber andernorts waren zahlreiche Engländer und Kolonisten getötet worden. Der Junge hatte sich auf die Suche nach William of Ghent gemacht und war aus ihrem Blick entschwunden. Das Echo seiner späteren Leistungen war jedoch bis zu ihr durchgedrungen, und sie wusste, dass er etwas erreicht hatte.
    Er musste eindeutig erfolgreich gewesen sein, denn die Welt schien sich immer noch zu drehen, und die Zeitenbeschwörer hatten sich wieder darauf besonnen, das Los bestimmen zu lassen und Fiebererkrankungen bei Kindern vorherzusagen. William of Ghent hatte Boston mit einem geheimnisvollen Auftrag verlassen und war bis heute nicht an den Hof des Empires zurückgekehrt.
    Sie versuchte, nicht darüber nachzudenken, dass ihre eigene Mitteilung an den Mann in Boston, der über entsprechende Spezialisten verfügte, die Dinge für Hethor schlimmer gemacht hatte. Phelps gehörte auch zu den avebianco , auf seine Weise.
    Während sie sich all dies durch den Kopf gehen ließ, trommelten ihre Stiefel auf die Holzplanken, vorbei an Ballen, Netzen, Baumwolle und Segeltuch und größeren, sperrigeren Behältern – Weinfässer, Bottiche und Tonnen. Um sie herum herrschte hektische Betriebsamkeit, was auf ein Vokabular schließen ließ, das Worte in Taten umsetzte. Jedes Handwerk kannte seinen Jargon, ob es sich nun

Weitere Kostenlose Bücher