Die Räder des Lebens
um Bibliothekare oder Freidenker handelte.
Die Männern sahen sie auch an. Childress wusste, dass nichts an ihrem Aussehen den Eindruck vermittelte, dass sie hier hingehörte. Sie war viel zu alt für ein Hafenluder, selbst für eine Puffmutter. Ihre schwarze Kleidung mit ihrem hohen Kragen erinnerte sehr an Trauerkleidung, war aber zu schlicht, um zu einer Kapitänswitwe oder der Witwe eines wohlhabenden Manns zu gehören. Die heraufziehende Dunkelheit, das Fackellicht und die großen Sturmlaternen würden die Falten auf ihrem Gesicht noch betonen und sie zur Märchenhexe werden lassen.
Es war keine Überraschung, als die avebianco sie fanden. Die Frau, die sie in der Bibliothek aufgesucht hatte, schaute unter einer flachen Matrosenmütze hervor, genau in dem Moment, als Meister Boyett von den Bibliotheken der University of Connecticut um einen Haufen breiter, niedriger Kisten herum auf sie zukam.
»Guten Abend, Bibliothekarin Childress«, sagte Boyett ruhig.
Ihr wurde bewusst, dass mindestens vier Matrosen in ihrer Nähe sich nicht um ihre Arbeit kümmerten, sondern sie vielmehr anstarrten.
Childress sprach mit kalter Stimme. Boyett war immer eine ziemliche Plackerei gewesen. »Ein ganz schön langer Weg von Storrs hierher, nicht wahr, Brian? Der allabendliche Gesundheitsspaziergang?«
Boyett bewegte seine Hände leicht im V - und X -Signal der weißen Vögel. »Ich bin hier als Zeuge …«
Es verschaffte ihr ein gewisses Maß an Befriedigung, dass er sich nicht dazu bringen konnte, sie mit ihrem Vornamen anzusprechen. Sie hatte ihm immer noch etwas voraus. Allerdings war dies ihr einziger Vorteil, und sie wusste nicht, wie sie ihn gewinnbringend einsetzen sollte. »Was sollst du bezeugen? Ich bin gerufen worden, und hier bin ich. Die meisten von uns verbringen ihr Leben damit zuzusehen und zu warten, ohne jemals in die Pflicht genommen zu werden.«
Die als Matrose verkleidete Frau packte sie am Arm. »Es ist Zeit zu gehen, Bibliothekarin.« Hätte Childress diese Frau vor einigen Stunden nicht in einem Kleid gesehen, dann hätte sie keinen Zweifel daran gehabt, dass nun ein Mann neben ihr stand.
»Unsinn«, antwortete Childress. »Die Ebbe dauert noch einige Stunden. Ihr Gefühl für hochdramatische Szenen beeinflusst ihr Urteilsvermögen.«
Die Frau packte sie noch fester am Arm. »Sie werden mich nicht so wie ihn täuschen.«
»Dann gehe ich. Ich bin doch gekommen, oder nicht?«
Boyett befiel ein Schaudern. »Es tut mir leid.«
»Weswegen?«, fragte sie, aber er antwortete nicht.
Dann führte die Frau sie den Steg hinauf zu einem schnellen Postschiff namens Mute Swan , das unter ihren Füßen zitterte, während tief im metallischen Rumpf die Maschinen tuckerten. Childress warf einen Blick zurück über ihre Schulter, als sie an Bord gingen. Boyett sah hinter ihr her.
»Was haben sie ihm gesagt?«, fragte sie ihre Entführerin.
»Die Wahrheit«, sagte die Frau. »Was Sie angeht, Sie gehen jetzt unter Deck.«
Childress sah zu den Messingbändern im Abendhimmel hinauf und fragte sich, ob der arme, verschollene Hethor für seinen Erfolg auch eine Belohnung erhalten hatte.
Zwei
Paolina
Paolina war klar, dass die fidalgos sie nicht einfach freilassen würden. Man hatte ihr weder Essen noch etwas zu trinken angeboten, seitdem sie sie in den Wandschrank gesteckt hatten. Die Reste des Wildblumenweins oder des bagaceira zu trinken, um ihren Durst zu stillen, kam nicht infrage. Aber sie waren noch nicht zurückgekehrt und sie hatten auch keine der Frauen geschickt, um sich um sie zu kümmern.
Das alles wegen einer Uhr? Entweder waren sie sehr wütend oder sehr verängstigt. Bei diesen Idioten war das praktisch dasselbe.
Sie verbrachte viel Zeit damit, sich die Taschenuhr vorzustellen und zu überlegen, welche Teile sie benötigte, damit sie auch in Zukunft vernünftig funktionierte. Es musste eine Möglichkeit geben, Energie zu speichern. Eine gewundene Feder schien ihr die einzig sinnvolle Lösung, wenn man die Form und die Größe des Geräts bedachte. Die Feder würde sich langsam abspulen und dabei eine Reihe von Zahnrädern antreiben, die ihre Drehbewegung auf die Zeiger übertrugen. Das Getriebe müsste sich der schwindenden Kraft der Zugfeder anpassen, sodass die Bewegungsgeschwindigkeit konstant blieb.
Natürlich würde noch viel, viel mehr zu berücksichtigen sein, aber das waren die Grundlagen.
Und so funktionierte auch die Schöpfung: Der Planet bewegte sich wie die Zeiger einer Uhr,
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