Die Räder des Lebens
englischen Hexenmeister, die Sayeed ihr versprochen hatte? Seitdem sie Praia Nova verlassen hatte, hatte sie nach denjenigen gesucht, die ihr mehr beibringen konnten. Das hier waren keine gelehrten Männer – das waren fidalgos , genau wie zuhause, nur in der großen, weiten Welt mit größerer Macht. Sie hielten sie lediglich für ein Werkzeug, das in ihren Diensten stand.
Bei Gott, dachte sie, wenn ich den Doms meines Zuhause nicht dienen wollte, warum sollte ich dann den englischen fidalgos dienen? Sie sind keinen Deut besser.
Mit einer Hand am Schimmer zogen ihre Finger die Rändelschraube hervor. Der Priester neben ihr packte sie am Arm. Paolina schrie auf und zuckte zurück. Mit seiner freien Hand schlug er ihr ins Gesicht und nahm ihr den Schimmer weg, in dem Augenblick, als die Schwilgué-Uhr zur Mittagsstunde schlug.
Es war eine Symphonie, eine Kakophonie, tanzende und klappernde Figuren, läutende Glocken, eine Trompete erschallte, während die großen Glocken im Turm über ihnen zur Stunde schlugen. Der Bischof und seine Kumpanen kamen auf sie zu, verteilten sich zwischen den Bankreihen und schnitten ihr die Fluchtwege ab.
Paolina rammte dem Priester einen Ellbogen in den Unterleib. Er brach auf dem Boden zusammen, ließ den Schimmer aber nicht los. Anstatt weiter auf ihn einzuschlagen, lief Paolina zum Ziffernblatt der Meisteruhr und begann, den geheimnisvollen Zeiger zu bewegen. Wenn sie den Rhythmus entdecken konnte, der zu ihm passte, würde sie den Rhythmus kontrollieren können. Das war ihre Macht.
Aber das wusste der Hohe Rat des Schweigsamen Ordens natürlich auch, denn er hinderte sie daran. Der Bischof breitete die Arme aus und übertönte das Glockengeläut. »Kommt, lasst uns in diesem Augenblick nicht uneins sein.«
Paolina konnte sich bei dem Krach und im Angesicht dieser Gefahr nicht konzentrieren. Sie brüllte laut auf und stürzte sich auf den Bischof. Dieser hatte einen solch direkten Angriff nicht erwartet. Sie prallte gegen seine Brust, warf ihn zu Boden und packte seinen Stab, um mit ihm auf den Mann hinter dem Bischof einzuschlagen. Eine Sekunde später sprang sie über die Bankreihen, hüpfte von Oberkante zu Oberkante, während sie sie verzweifelt verfolgten.
Das Haupttor stand offen, und ihre Verfolger riefen ihr hinterher, als die Glocken verstummten. Paolina rannte schreiend ins Licht.
Karol Lachance wartete unten an der Treppe. Er saß auf dem Kutschbock seines Karrens und rauchte eine Zigarette. Er nickte ihr zu.
Da sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte, rannte sie die Treppen hinunter, warf den Bischofsstab zur Seite und sprang über die Seitenwand des Karrens. Paolina verbarg sich in dem Durcheinander, zog Segeltuch über sich und begann, vor Angst am ganzen Körper zu zittern. Karol ließ seine Pferde schnalzend antraben, als irgendwo hinter ihr brüllende Männer aus der Kathedrale stürzten.
Sonnenlicht schimmerte durch das Tuch auf ihrem Gesicht, während sie gemütlich durch die Straßen Straßburgs fuhren. Lautes Geschrei und Gezeter war zu hören: ›Dieb!‹, ›Quacksalber!‹ und ›Aufrührer!‹ Glocken und Pfiffe verbreiteten die Nachricht, aber Lachance fuhr einfach weiter. Zweimal hörte sie ihn auf Französisch sprechen – zu Polizisten? –, aber mit einer Vertrautheit und einem gelegentlichen leisen Lachen, das jede Frage vernünftig zu beantworten schien.
Schließlich schlug der Karren eine gleichmäßigere Geschwindigkeit ein. Sie ließen die Geräusche der Stadt und der Menschen hinter sich, und nur noch das sanfte Wispern einer ländlichen Gegend war zu hören, bis etwas Großes und Langsames über ihnen hinwegdröhnte.
Die Notus , dachte sie.
Paolina hielt sich versteckt, während Lachance weiterfuhr und sie sich von Straßburg und der Schwilgué-Uhr entfernten. Dann wurde ihr mit lähmendem Schrecken klar, was mit ihr geschah.
Sie fuhren vom Schimmer weg.
Die Engländer hatten sie nach Strich und Faden verraten. Sie hatte die Taschenuhr verloren, für die sie so hart gearbeitet hatte. Paolina begann zu weinen, schluchzte zitternd und biss sich in den Arm, um ihre Gefühle zu verheimlichen.
Lachance zog das Segeltuch von ihr weg. »Du musst jetzt herauskommen.«
Zitternd rutschte Paolina vom Karren herunter. Sie standen neben einem Feld mit langem braunen Gras, das bereits geschnitten und gestapelt worden war. Hinter den Stoppeln erhoben sich Bäume. Der Himmel wirkte flacher, blasser. Es waren keine Luftschiffe zu sehen.
Sie
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