Die Räder des Lebens
starrte ihn an. »Und was nun?«
Der Franzose zuckte mit den Achseln. »Du bist der Kathedrale und ihrer schweigsamen Mäuse fern, richtig?«
»Ja. Die Königin kann ihre Leute behalten«, fügte Paolina hinzu. »Ich hätte a Muralha nie verlassen dürfen.«
»Wie bitte?«
»Die Mauer. Ich hätte die Mauer niemals verlassen sollen.«
»Dann geh zurück zur Mauer.«
»Wer bist du, dass du dir darum Gedanken machst?«, fragte sie.
»Nur ein Vogel«, sagte Lachance. »Ein weißer Vogel, der weit von Zuhause weg ist.« Er öffnete seine Weste und holte einen dicken Umschlag aus wachsartigem braunen Papier hervor. »Einige Karten und ein wenig Geld.«
»Von wem?«
»Weißen Vögeln, die nicht wollen, dass du von diesen schweigsamen, ordentlichen Mäusen gefangen genommen wirst.«
Ihr Stolz kämpfte mit praktischen Überlegungen. Sie war tief im britischen Territorium und weit von Zuhause entfernt. Obwohl sie seinen Vögeln genauso wenig traute wie Sayeeds schweigsamen Mäusen – Lachance bot ihr mehr, als ihr im Moment zur Verfügung stand. »Ich habe den Schimmer verloren«, platzte es aus ihr heraus, als sie das Päckchen entgegennahm.
Lachance lächelte traurig. »Ich werde sehen, was ich tun kann, um dein Eigentum zurückzuerhalten. Wenn der Bischof und seine Mäuse es genommen haben, wird der Schimmer aber leider nicht so schnell in meine Hände gelangen.« Er hielt kurz inne. »Wenn ich fragen darf, warum reist du als Mädchen? Du bist so schlank, du könntest dir Hosen anziehen und als junger Mann durchgehen. Die Menschen würden dir dann weniger Ärger bereiten.«
»Ich …« Es war nicht so, dass Paolina das nicht als Möglichkeit verstand. »Männer sind … Männer.« Sie hätte nie gedacht, dass so viel Hass in ihrer Stimme mitschwingen konnte. »Ich will keiner sein, nicht einmal für einen Augenblick.«
»Ah. Ich bitte um Entschuldigung. Ich hätte dich mit dieser Frage nicht belästigen sollen.« Er deutete Richtung Süden. »Erstein befindet sich direkt hinter diesem Hügel. Wenn du der Straße folgst, kommst du nach Colmar, dann Mulhouse. So wie ich es verstanden habe, möchtest du nicht nach England weiterreisen, also solltest du dich von dort aus Richtung Süden wenden, vielleicht mit der Eisenbahn. Möge Gott mit dir sein.«
»Vielen Dank«, sagte Paolina aus einem Reflex heraus.
Er kletterte auf den Kutschbock, schnalzte den Pferden zu, drehte in einem Kreis und ließ sie stehen, ohne noch einmal zurückzublicken.
Das war es? , dachte sie. Sie wartete, bis sich der Staub wieder gelegt hatte, und setzte sich auf ein ruhiges Fleckchen unter einem Baum, um den Umschlag zu untersuchen, den er ihr gegeben hatte. Er enthielt dreihundert englische Pfund, die in mehrere Karten Europas und des Mittelmeers eingeschlagen waren. Paolina hatte keine Vorstellung davon, welchen Wert dieses Geld darstellte, hatte aber das Gefühl, dass es recht viel war.
Sie verbarg das Geld in ihrem Kleid und betrachtete die Karten. Ihr wurde klar, dass es keinen Grund gab, Marseille zu umgehen. Von diesem großen Hafen aus konnte sie entlang der westlichen Küste Afrikas am schnellsten nach Hause zurückkehren, aber sie wollte auf keinen Fall in die Nähe von Notus’ Patrouille geraten. Vielleicht gab es noch andere Möglichkeiten, nach Afrika und zur Mauer zurückzukehren, sobald sie Marseille erst mal erreicht hatte.
Es gab einen Zug von Colmar nach Mulhouse. Sie erfuhr, dass es sich um einen Regionalzug handelte, als der Schalterbeamte am Bahnhof jemanden gefunden hatte, der halbwegs Englisch mit ihr sprechen konnte. Die Fahrkarte kostete vier Pence.
Der Preis bestätigte ihr, dass dreihundert Pfund ein kleines Vermögen darstellte. Es fühlte sich seltsam an, eine Zehn-Pfund-Banknote herauszugeben, und noch seltsamer, das Wechselgeld in Livres und Centimes zurückzubekommen; anscheinend das französische Pfund.
Der hilfreiche Mitbürger wurde auch noch dazu verpflichtet, ihr zu erklären, wie man in einen Zug stieg. Er war eindeutig verdutzt, dass sie eine solche Hinterwäldlerin sein konnte, dass sie nicht einmal wusste, wie das mit Zügen und Fahrkarten funktionierte.
Paolina nahm Kartoffelplätzchen mit Zwiebeln zu sich, während sie auf den Zug wartete. Der Zug fuhr schließlich mit lautem Kreischen und in einer großen Dampfwolke in den Bahnhof ein. Die Verwandtschaft der Lokomotivstangen und der Schwungräder mit den Bewegungen in der Uhr, die die Welt darstellte, tröstete sie ein wenig.
Im Zug
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