Die Räder des Lebens
verbeugt hatte. »Ich danke Ihnen, Admiral. Ich werde Ihr Vertrauen nicht enttäuschen.«
Leung fing an zu sprechen, aber Shang unterbrach ihn, indem er lachend eine Hand hob. »Kein Vertrauen, Satansweib«, sagte er auf Englisch. »Nur Neugier. Gehen Sie jetzt.«
Der Kapitän begleitete sie hinaus. Childress traute es sich selbst nicht zu, ein letztes Wort an den Admiral zu richten.
Dreizehn
Paolina
Die Schwilgué-Uhr füllte ihr gesamtes Sichtfeld aus; sie wirkte wie die Sonne auf sie, die man unverhofft nach einer endlos scheinenden Nacht doch wieder erblickt. Der Apparat ragte vor Paolina empor und wirkte selbst im Vergleich zur Front des Straßburger Münsters riesig. Die wahnwitzigen Verzierungen der ursprünglichen Baumeister hatten sich auf dieses Gerät übertragen. Das Gehäuse für ihre Taschenuhr war eine schlichte Hülle, aber das hier war ein Lobgesang auf die Freude und das außerordentliche Geschick des Uhrenbauers.
Auf zwei kleinen, oben an der Uhr befindlichen Balkonen standen bemalte Schnitzfiguren, die sich auf einen Impuls des Uhrwerks bewegten. Darunter folgten mehrere Ziffernblätter, die die unterschiedlichsten Aspekte von Gottes Schöpfung bemaßen. Eins bestimmte den Sonnenstand, ein anderes die Position des Monds und der Planeten, und ein weiteres die Tagesstunden, wie sie von den Menschen eingeteilt worden waren. Kleinere Zeiger folgten anderen rhythmischen Mustern. Sie war sich sicher, dass einer von ihnen die Zeit bemaß, die am Grunde aller Existenz lag, und damit mit dem kleinsten Zeiger auf ihrem Schimmer synchron lief. Die Mechanismen im Inneren des Uhrwerks mussten so faszinierend sein wie das Uhrwerk, das die Erde antrieb. Paolina verstand die Bedeutung all dessen noch nicht, nicht ohne entsprechenden Unterricht und sorgfältige Recherchen, aber sie liebte beide Aufgabenbereiche jetzt schon.
Ein großes Ziffernblatt in der Mitte des Uhrgehäuses war mit mystischen Zeichen bemalt. Das musste der Spielball des Schicksals sein, der freie Zeiger, der wie der vierte Zeiger ihres Schimmers frei bestimmt werden konnte, allein durch den Willen und die Worte des Erschaffers.
Dieses Meisterwerk, dieses Kunstwerk ließ ihr armes, kleines Uhrwerk in der Bedeutungslosigkeit versinken. »Bei all den Monstern von a Muralha «, flüsterte sie, »das muss ein perfektes Modell der Welt sein.«
»Was siehst du?« Die leise Stimme des Priesters klang erwartungsvoll.
»Was jeder mit Augen im Kopf sehen würde«, antwortete sie langsam. »Ein Abbild der Schöpfung, erschaffen durch die Hand eines Meisters seiner Kunst. Mit dieser Uhr könnte man alle Geheimnisse aufdecken und alle Fehler dieser Welt in Ordnung bringen.«
Jemand hinter ihr klatschte langsam.
Paolina drehte sich um und sah, dass ein Dutzend Männer hinter ihr die Kirche betreten hatten. Zu ihnen gehörte der Zwiebelverkäufer vom Münsterplatz, aber Kapitän Sayeed war nicht dabei. Einige von ihren trugen elegante Trachten, die sie nicht erkannte.
Der Mann, der geklatscht hatte, hörte damit auf. Er war ein Mann in hellem Gewand, das mit violettem Stoff verbrämt war, und trug einen hohen Hut, der einer ungeöffneten Lilie ähnelte. Der Schnitt seiner Kleidung ähnelte der des Priesters, der sie hereingelassen hatte, nur dass sein Gewand viel kostbarer war. Ein Hohepriester also – ein Bischof?
»Wir haben Sie seit Jahrhunderten erwartet, Uhrmacherin«, sagte er im geduldigen, gleichmäßigen Takt. »Seid willkommen, hier im Herzen des Schweigsamen Ordens der zweiten Drehung und zur Uhr, die den Rhythmus der Welt bemisst.«
»Aber ich –«, begann Paolina, unterbrach sich dann aber. »Ihr seid nicht die Erbauer.«
Höfliches Lachen war von einigen zu hören, doch andere tauschten misstrauische Blicke aus.
»Nein, nein«, sagte der Bischof. »Wir sind der Hohe Rat, die Bewacher des Werks und seines Zwecks. Werkzeuge gehören in … andere Hände. Hände, wie die Ihren. Begreifen Sie, wie Sie den Weg zu uns gefunden haben?«
»Nicht zu Ihnen«, antwortete sie, »sondern zu dieser Uhr. Die Schwilgué-Uhr ist ein Meisterwerk. Ich möchte von dem lernen, der sie erbaut hat.«
»Dafür kommen Sie zu spät«, sagte ein Mann in einem gut geschnittenen burgunderfarbenen Umhang. »Jean-Baptiste Schwilgué wurde vor fast fünfzig Jahren beigesetzt. Sie sind nach ihm die Erste, die in der Lage ist, seine Werkzeuge zu benutzen und seinen Absichten zu folgen.«
» Unseren Absichten«, fügte der Bischof hinzu.
Wo waren die
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