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Die Räder des Lebens

Die Räder des Lebens

Titel: Die Räder des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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und betrachtete das Messing am Himmel, als ob es ein Navigator wäre. Boas begann zu zittern.
    »Ich bin hier, mein Freund«, sagte er und legte eine Hand auf die Brust des Metallmanns.
    Nach einigen Minuten unzusammenhängender Bewegungen richtete sich Boas auf. »Es geht mir nicht gut. Ein Waffenschmied wäre unter diesen Umständen angebracht.«
    »Ich habe weder Waffen noch bin ich Schmied. Wir können nur weitergehen.«
    Als die beiden den Dachrand erreichten und nach Osten sahen, entdeckten sie einen Trupp Menschen auf der Holzbrücke. Sie trugen Rüstungen aus einem hellen Metall – Messing oder vielleicht sogar Gold –, das eindeutig als Kopie der Messing von Ophir gedacht war.
    »Jesus, Maria und Joseph«, fluchte al-Wazir.
    Boas hob die Hand und winkte ruckartig.
    Die vierzehn Männer unter ihnen hoben die Hände und imitierten seinen Gruß.
    »Habt ihr eine Leiter?«, rief der Messingmann.
    Die Männer schwärmten unter ihnen aus.
    Childress
    Der widerliche Bootsmann war weder auf dem Flur noch in der Eingangshalle zu sehen. Offensichtlich durften sie sich frei bewegen. Als sie das Gebäude über die Treppe verließen, hakte sich Leung bei ihr unter. Es war nur vernünftig von ihm, sie zu begleiten, aber sein fester Griff jagte ihr dennoch einen Schauer über den Rücken.
    »Du bist unter Auflagen freigelassen«, sagte er. »Du gibst mir dein Ehrenwort, dich gegenüber mir zu verantworten, und ich bin für alle unerwünschte Handlungen deinerseits verantwortlich – darauf habe ich mein Wort gegeben.«
    »Ich verstehe.« Zumindest glaubte sie, dass sie das tat.
    »Ich werde dir noch eine Sache sagen. Dann suchen wir dir eine Unterkunft, während man sich um mein Schiff kümmert und meine Männer ihren Landurlaub nehmen.«
    »Worum geht es?« Die beiden schoben sich nun durch dieselbe Menge, in der William of Ghent untergetaucht war – ein Gewimmel aus kleinen fleißigen Menschen von gelber und brauner Hautfarbe, die ihre Tiere und ihre Karren mit sich schleiften und unvorstellbare Lasten auf ihrem Rücken trugen.
    »Der Admiral und der fremde Hexenmeister …« Er verstummte, als ob er nach den richtigen Worten suchte. »Sie werden aus vielen Gründen gefürchtet. Macht, Stärke, das Ausmaß an Rücksichtslosigkeit, mit der sie ihre Visionen verfolgen. Aber du musst etwas verstehen. In China ist Weiß die Farbe des Todes. Bei Begräbnissen tragen alle Masken und kleiden sich in Weiß. Geister strahlen weiß in der Dunkelheit. So groß und so weiß zu sein, kommt ungefähr dem gleich, in einer englischen Kirche Hörner zu haben. Es beschwört das Bild eines Dämons herauf.«
    »Tote Menschen, die auf unserer Welt wandeln?«
    »Ja. Beide lassen mein Volk Angst haben, Angst davor, vom Tod zu träumen.«
    »Ich verstehe.« Englische Traditionen sahen Weiß als Zeichen von Reinheit und oft auch Stärke an. Williams Kleidung hatte ausgesehen, als ob er seinen Modestil seiner ungewöhnlichen Hautfarbe angepasst hätte, nicht mehr. Was Shang betraf … Bei ihm handelte es sich um einen Mann, der einen Geist spielte und sich entsprechend kleidete. Er sorgte dafür, dass eine riesige Flotte und ihre Männer nicht aus der Reihe tanzten, indem er mit ihren Ängsten sein Spiel trieb.
    Das konnte man bewundern oder verachten, aber sie wusste nicht, was ihre Reaktion sein sollte. Sie musste anerkennen, welche Genialität zum Spielen dieser Rolle gehörte.
    Sie schoben sich durch ein riesiges Eisentor in die Menschenmenge einer öffentlichen Straße vor dem Hafenviertel. Was sie bisher als ein verwirrendes, lärmendes Chaos empfunden hatte, war nichts im Vergleich zu dem, was sich nun vor ihren Augen auftat – der Hafen ähnelte nun vielmehr den ordentlichen Verhältnissen eines Exerzierplatzes. Zu den allgegenwärtigen Lasten und ihren Trägern gesellten sich nun explodierende Böller und dröhnende Gongs, umherlaufende, laut schreiende Kinder, Sänften, die auf dem Rücken schwitzender, glatzköpfiger Männer gewaltsam durch die Massen geschoben wurden, während Diener mit Peitschen und Messern um ihre Vorfahrt kämpften. Es nahm kein Ende, und irgendwann stieß sie mit ihrem Ellbogen an einen Korb voll zischender Schlangen.
    Sie bemerkte, dass Leung ihr ins Ohr brüllte.
    »Was?«, fragte Childress.
    »Sei dankbar, dass heute kein Festtag ist«, wiederholte er. »Dann sind die Straßen überfüllt.«
    Childress konnte nur noch lachen und folgte ihm in das bunte Treiben Tainans. Die knisternde Energie der Menge

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