Die Räder des Lebens
dann gestorben? Welche Teile der Nördlichen Welt wären dann zerstört worden?
Sie scheute vor diesem Gedanken zurück, zugleich hoffte sie aber sehr, dass Lachance nicht zu den Opfern dieses Unglücks gehörte.
Sie hatte die Anstrengungen und Qualen, hierher zu gelangen, nicht auf sich genommen, um mit solchen Konsequenzen konfrontiert zu werden. Paolina betrachtete das Kielwasser des Schiffs und fragte sich, was sie hätte anders machen können. Die Engländer hatten Angst vor den Chinesen, aber wenn sie versuchte dorthin zu gehen, würden sie sie vermutlich nur als europäisches Mädchen ansehen und auch nicht besser behandeln, als die Engländer es getan hatten.
Für sie gab es nur a Muralha . Mit ein wenig Glück – nun ja, sehr viel Glück – könnte sie vielleicht sogar Boas finden. Vielleicht würde sie einfach die Mauer hinaufklettern, bis sie ein freundliches Land fand, weit entfernt von den Flachlandwelten der Engländer und allen Männern.
Die Star of Gambia benötigte für die Fahrt von Marseille nach Messina sieben Tage und fuhr dann unverzüglich nach Kalamata weiter. Paolina nahm ihre Mahlzeiten im Passagierspeisesaal ein. Sie redete wenig. Das schien den Mitreisenden durchaus genehm zu sein; nur die Frauen warfen ihr gelegentlich einen Blick zu. Die Männer ignorierten sie, da sie ein Kartenspiel bevorzugten, das anscheinend bereits vor ihrer Abreise in Marseille begonnen und bis jetzt kein Ende gefunden hatte.
Sie war nicht sicher, um welchen Einsatz sie spielten, und sie hatte auch kein echtes Interesse daran, es herauszufinden. Paolina verbrachte soviel Zeit wie möglich an Deck, um das Wetter zu genießen. Sie hatte es geliebt, an Bord der Notus an der freien Luft zu sein, und war in Praia Nova damit groß geworden, sich ständig im Freien zu bewegen. Die Mannschaft interessierte sich auch nicht für sie, sondern plapperte vielmehr über ihre eigenen Belange, und das in fremden Sprachen.
Jedes Mal, wenn sie das Deck betrat, erkannte sie Dutzende Verbesserungen oder Reparaturen, die sie hätte vornehmen können, wenn sie nur die Zeit und die Erlaubnis dazu gehabt hätte. Das begann beim schlechten Tauwerk der Deckkräne und ging bei störrischen Scharnieren an gewissen Luken weiter – das Schiff flehte sie geradezu an, es schrie praktisch um Hilfe. Da ihr klar war, was man ihr sagen würde, wenn sie auch nur die geringste Andeutung in dieser Richtung machte, versuchte Paolina, diese Gedanken so gut es ging zu verdrängen.
Auf ihrem Weg nach Tyrus erlebte das Schiff, was der Steward in ihrem Speisesaal als ersten wirklich schlimmen Sturm dieser Jahreszeit bezeichnete. Die Passagiere nahmen gerade an ihren Tischen Platz, wo die Teller zu klappern und das Besteck zu rutschen begonnen hatte, als er mit betrübter Miene aus der Bordküche kam.
»Freunde«, sagte der Steward – er nannte die Passagiere alle Freunde, als ob er sich freute, sie zu sehen – »Koch bedauern, nicht zu Ende kochen für Sie. Kekse und Wein Sie mitnehmen können in Kabine. Meine Sorge sein groß und Peinlichkeiten viele.«
Paolina hatte sich schon oft gefragt, welche Sprache die Grundlage seiner doch ungewöhnlichen Behandlung des Englischen bildete. Sie lächelte, als sie aufstand. »Ich bitte, mich zu entschuldigen, bevor der Rückweg in meine Kabine zur lebensgefährlichen Aufgabe wird.«
»Hier, Freund.« Der Steward reichte ihr eine Serviette, in die hartes Gebäck eingerollt war. »Ruhigbleiben und zufrieden, bis Wetter anderes Land begrüßt.«
»Natürlich.« Sie nickte kurz. »Vielen Dank.«
»Möchten Sie zur Kabine begleitet werden, Fräulein?«, fragte einer der verheirateten Männer – Blanchard, ein Schotte auf dem Weg zu irgendeinem Bauprojekt in Indien. Wenn man seinen Geschichten Glauben schenken durfte, waren die Angriffe aufständischer Sepoys und hungriger Tiger genauso schlimm wie Langstrecken-Überfälle der Chinesen.
»Nein, vielen Dank, Sir.«
Sie musste auf ihrem Rückweg zur Kabine zwar nicht an Deck gehen, aber der Laufgang war auf der Steuerbordseite zum Meer hin offen. Selbst die kurze Strecke an der frischen Luft war gefährlicher geworden, als sie es erwartet hatte. Das Mittelmeer schien in helle Aufruhr versetzt, und das wunderschöne Blau seines Wassers hatte sich in einen unheilvollen, dunklen Farbton verwandelt, der einem finsteren Schwarz nicht mehr fern war. Der starke Wellengang ließ die schaumgekrönten Brecher gegen die Flanken der Star of Gambia branden. Der Wind
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