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Die Räder des Lebens

Die Räder des Lebens

Titel: Die Räder des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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gewetzt. Entweder war er dort jahrzehntelang praktisch auf der Stelle umhergegangen, oder er war erst dorthin gestellt worden, nachdem der Weg schon lange existiert hatte. Er musste auf jeden Fall schon recht lange an seinem Platz stehen, denn um ihn herum lagen Schmutz und Staub und neben dem Weg verschiedentliche Knochen.
    Hatte er gekämpft oder getötet? Oder waren das nur Spuren längst vergangener Ereignisse?
    Der Messingmann war etwas über einen Meter und achtzig groß. Sein Körper bestand aus Rüstungsteilen – Beinschienen, Brustharnisch und Armschienen, als ob er den Kampf mit einer riesigen, schrecklichen Kreatur erwartete. Sein Gesicht war fast genau das Gegenteil – eine seltsam wirkende Schönheit, deren nahezu vollständige Perfektion unpassend wirkte. Seine Lippen schien er leicht verächtlich verzogen zu haben, und ein kleines Gitter zeigte, wo sie sich teilten. Die Augen waren geschlossen.
    Sie blieb vor ihm stehen. Er war ein Wunderwerk der Ingenieurskunst. Nicht nur war seine Gestalt nahezu perfekt, auch die Gelenke, Lötstellen und Kanten seiner Konstruktion waren nicht minder hervorragend ausgeführt worden.
    »Du bist wunderschön«, sagte sie auf Englisch und klopfte auf seinen Brustharnisch. »Eine Schande, dich aus Metall herzustellen.«
    In letzter Zeit hatte sie ein größeres Interesse für die normalen, menschlichen Männer entwickelt, die sie auf ihren Wegen getroffen hatte. Die Jungs, die in Praia Nova noch so furchtbar gewesen waren, schienen sie nun auf Arten und Weisen zu verlocken, über die sie nicht zu intensiv nachdenken wollte.
    Die streifenförmigen Augenlider öffneten sich. Eine geölte Messingkugel mit einer winzigen Kristallöffnung öffnete und drehte sich.
    »So wie Ihr es seid, meine holde Dame.«
    Die Stimme klang angenehm, aber ein wenig hohl, als ob sich innerhalb der Rüstung nichts anderes befand als dunkle Schatten und leerer Raum. Es war kein Atmen von Lungen zu hören und auch nicht das Klappern eines Uhrwerks.
    »Mit dem tadellosen Benehmen eines Höflings.« Paolina war stolz auf diesen Satz. Sie hatte ihn in den spanischen Briefen gelesen. Also hatte sich doch noch die Gelegenheit ergeben, ihn zu verwenden, egal, in welcher Sprache.
    »Hier liegt die Grenze«, teilte der Messingmann mit. »Niemand darf sie überschreiten, der nicht über das Siegel verfügt.«
    Sie sah sich um. Der Weg führte durch ein Feld, auf dem zerbrochene Felsen verteilt lagen, zwischen denen das Gras munter wuchs. Es gab keinerlei Hinweis darauf, dass sie sich mit einem weiteren Schritt in einem anderen Land befände. »Die Grenze zu was, Sir?«
    »Der Westmark des Salomonischen Königreichs von Ophir.«
    Paolina hatte noch nie davon gehört. »Ich suche nach England«, sagte sie ihm. »Ich möchte euer Königreich in Frieden durchqueren, um es zu erreichen.«
    Er machte ein hohl klingendes, schallendes Geräusch, bei dem es sich vermutlich um sein Lachen handelte. »England ist ein Flachland, das nur vorgibt, wahre nationale Größe zu besitzen. Ihr werdet dieses Reich aus Ratten und Verkäufern weder innerhalb noch an den Grenzen des Salomonischen Königreichs finden.«
    »Das mag sein, aber wenn ich an euch vorbeigehe, was werdet ihr tun?«
    »Ich werde euch notgedrungen festsetzen, bis die Obrigkeit eure Freilassung erwirkt.«
    Paolina ließ sich das durch den Kopf gehen. Es handelte sich um ein logisches Wesen, das war offensichtlich. Sie fragte sich, ob sie diese Logik von außen aushebeln konnte.
    »Wann war die Obrigkeit das letzte Mal hier?«
    Ein längeres Schweigen folgte. »Eine Zeitangabe erscheint kaum möglich. Es waren viele Jahre, zweifelsohne … ein Jahrhundert oder mehr.«
    »Also würdet ihr mich ergreifen und festsetzen, bis ich verhungere und zu Staub zerfalle, während ihr euch abschaltet, bis jemand anderes hier erscheint?«
    Ein weiteres langes Schweigen. »Das scheint die Absicht meiner Anweisungen zu sein.«
    »Ich habe einen wesentlich besseren Plan«, sagte sie freudestrahlend. »Überbringt mich eurer Obrigkeit. Ihr werdet endlich diesen furchtbaren Ort verlassen und ich meinen Weg nach England fortsetzen können.«
    »Die Obrigkeit hat mich angewiesen, mich nicht von der Stelle zu rühren.«
    »Zu welchem Zweck, wenn die Obrigkeit nicht zurückkehrt, um neue Anweisungen zu erteilen?« Sie sprach verschmitzt weiter. »Außerdem könnt ihr euren Heldenmut und eure Scharfsicht beweisen, indem ihr mich zu ihr und damit einen Schimmer

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