Die rätselhaften Worte
Mord. Was meinst du dazu?«
Ich meine, dachte Pascoe, daß du unter Druck stehst, Andy. Und du würdest einen Mord begehen, wenn du dadurch verhindern könntest, daß man dir noch einen Mordfall aufhalst.
»Ich meine, wenn wir so weitermachen mit frommen Mutmaßungen, glauben wir bald an Zeichen und Wunder«, entgegnete er energisch. »Erstens war Sams Herzleiden nicht lebensbedrohlich. Und wie kommst du darauf, daß auch nur einer von ihnen schwul ist?«
»Das sieht ja ein Blinder im Galopp, daß mit Roote etwas nicht stimmt. Damals in diesem College ist er bei den Frauen offensichtlich ganz gut angekommen, aber das hat ihn nicht davon abgehalten, sich mit diesem Dozenten anzulegen, der dann gestorben ist, das heißt, er hat sich umgebracht. Komisch, wenn ich mich recht erinnere – hieß der nicht auch Sam? Und das bringt uns zu diesem Johnson, ich habe ihn ja nur einmal bei der Vernissage gesehen, aber war der nicht auch so ein hochgestochener Intellektueller?«
»Um Himmels willen!« rief Pascoe. »Ist das alles? Wilde Spekulationen, garniert mit Vorurteilen?«
»Das kannst du besser beurteilen, Pete«, erwiderte Dalziel. »Ich meine, ich bin kein Fan von Franny Roote, aber mir scheint, wenn du den Kerl auch nur siehst, schiebst du ihm für alles und jedes die Schuld in die Schuhe. Das nenne ich Vorurteil.«
Pascoe merkte, daß er in die Falle gegangen war, und entgegnete trotzig: »Gut, ich kann nicht beweisen, daß Roote direkt in die Sache verwickelt ist. Aber eins weiß ich sicher: Roote schreit nicht Mordio, weil er sich schuldig fühlt. Dieser Dreckskerl hat sich noch nie im Leben wegen irgend etwas schuldig gefühlt!«
»Es gibt immer ein erstes Mal, mein Junge«, meinte Dalziel freundlich. »Ich könnte auch anfangen, meinen Whisky mit Johannisbeersirup aufzupeppen. Wer zum Teufel ist das?«
Das Telefon hatte geläutet. Der Dicke nahm ab und bellte: »Was gibt’s?«
Während er zuhörte, verfinsterte sich sein Gesicht.
»Verdammter Mist.« Er knallte den Hörer auf den Apparat. »Sie haben Johnsons Anverwandte aufgespürt.«
Wie bei allen ungeklärten Todesfällen hatte die Polizei zunächst überprüft, wer davon profitieren könnte. Man hatte festgestellt, daß Sam Johnson kein Testament hinterlassen hatte, und das hieß, daß die nächsten Angehörigen seine geringe Habe erbten. Pascoe erinnerte sich, daß Ellie den Dozenten nach seiner Familie gefragt hatte, als er bei ihnen zu Gast gewesen war. Johnson, bereits leicht beschwipst, hatte erwidert: »Wie Cinderella bin ich eine Waise, aber immerhin habe ich das Glück, daß ich nur eine häßliche Stiefschwester habe, der ich aus dem Weg gehen muß.« Und er hatte sich mit gespieltem Schaudern geweigert, näher auf dieses Thema einzugehen.
»Die Stiefschwester also?« fragte Pascoe.
»Weißt du etwa, mit wem wir es zu tun haben? Mit Linda Lupin, Europaabgeordnete. Diese Irre, Loopy Linda!«
»Du machst wohl Witze? Kein Wunder, daß er nicht über sie reden wollte!«
Linda Lupin war für das Europaparlament, was Stuffer Steel für den Stadtrat von Mid-Yorkshire gewesen war, ein Stachel im Fleisch und lästig wie ein Floh. Sie stand so weit rechts, daß es ihr sogar gelegentlich gelang, William Hague in Verlegenheit zu bringen, und sie versäumte keine Gelegenheit, Verschwendung von Steuermitteln oder schleichenden Sozialismus anzuprangern. Obwohl sie sprachlich nicht gerade fest im Sattel saß, konnte sie doch
Ich klage an!
in zwölf Sprachen brüllen. Tief religiös, im Sinne eines alternativ verstandenen anglikanischen Glaubens, kämpfte sie leidenschaftlich gegen das Priesteramt für Frauen. Loopy Linda, wie sie selbst von der rechten Boulevardpresse genannt wurde, war also nicht gerade eine Verwandte, zu der sich ein linksgerichteter Intellektueller gerne bekannte. Und sie war gewiß nicht die Angehörige eines Mordopfers, von der ein unter Druck gesetzter Ermittler träumt.
»Als wäre alles nicht schon schlimm genug mit Desperate Dan und den ganzen Revolverblättern, die mir in den Rükken fallen«, stöhnte Dalziel, »jetzt springt mir auch noch Loopy Linda ins Gesicht.«
Pascoe versuchte, sich eine solche Attacke bildlich vorzustellen, aber sie mutete so grotesk an, daß es dazu eines Cruikshank oder eines Scarfe bedurft hätte.
Aber Loopy Lindas Verwicklung in den Fall hatte wenigstens zur Folge, daß der Dicke seinen kurzen Flirt mit der Rolle des weisen, alten, vernünftigen Kommissars aufgab.
»Gut, Pete, ich bin
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