Die Rättin

in Nebensätzen, der Anlaß der Feier versöhnt; weshalb nicht nur die Männer von der Leninwerft, sondern auch die Befürworter einer Ordnung, die auf deutsch und polnisch sein muß, die blauweißen Schlümpfe allerliebst finden. Stephan Bronski sagt: »Waißt, Oskar, da hast uns ja wieder mal richtich ieberrascht.« Das finden alle Gäste und trinken Kartoffelschnaps und nun auch Eierlikör auf sein Wohl. Doch im Gepäckraum seines Mercedes und in seinem Herzen, dem nie zu trauen war, hält unser Herr Matzerath eine besondere Überraschung bereit.
Früher wußten wir mehr von der Welt; doch während der ersten Periode posthumaner Zeit, die länger dauerte, als sich mit gezählten Kalenderjahren sagen ließe, hörten wir wenig über Rattenvölker, die sich anderswo eingegraben hatten. Weil wir sicher waren, daß es uns überall gab, darbten wir um so mehr nach Neuigkeiten. Doch als erste Zuzüge aus östlicher Richtung kamen und ihre Reviere außerhalb der Stadt und dem kaschubischen Hinterland, im immer noch sumpfigen Werder zugewiesen bekamen, wußten die Zugewanderten auch nicht viel, nur, daß es in Rußland schlimm, schlimmer als bei uns aussähe, selbst für Ratten kaum auszuhalten. Nachrichten waren das nicht. Wenig Konkretes, nur Klagen und Gerüchte, die hatten wir satt.
Das war zur Humanzeit anders, sagte die Rättin, von der mir träumt. Von Kontinent zu Kontinent reisten wir überm Kiel seit altersher mit Schiffen jeder Größe, sofern nicht einzelnen Schiffen oder ganzen Flotten der Geruch des Unterganges anhing. Spaniens Armada sank ohne uns. Wir mieden die Titanic. Und auf der Wilhelm Gustloff, einem Kraft-durchFreude-Schiff, das im Januar fünfundvierzig in Gdynia, das dazumal Gotenhafen hieß, mit Flüchtlingen vollgestopft auslief, waren, als es bald nach Verlassen der Danziger Bucht torpediert wurde und absoff, keine Ratten an Bord; gleiches läßt sich von der Steuben, belegt mit viertausend Verwundeten, der Goya und von anderen Schiffen sagen, die auf Minen liefen, kenterten oder übers Heck wegsackten. Ein Großadmiral hatte sie allesamt bis nach Kurland hoch geschickt, damit sie möglichst viele Soldaten und Zivilisten in den Westen holten Wir wissen das, weil unsereins auf Schiffen, die nicht absoffen, gleichfalls nach Westen wanderte. Siebenmal belegten wir die Cap Arcona, gingen in dänischen und norddeutschen Häfen sogar verdoppelt an Land, versagten uns aber das ehemalige Luxusschiff, als es mit Häftlingen aus dem Konzentrationslager Neuengamme belegt wurde, womit sein Sinken angezeigt war. Wer das nicht glaubt, rief die Rättin, die nicht aufhören wollte, vermiedene Untergänge zu feiern, der möge sich an unsere Flucht von den Panzerkreuzern und Linienschiffen der russischen Ostseeflotte erinnern, als wir die Seeschlacht bei Tsushima vorahnten...
So plauderte sie und verlor sich in ihrem Lieblingsthema. Die Kreuzer Swetlana und Schemtschug, das Flaggschiff Osstjaba, den Panzerkreuzer Admiral Nachimow, die Linienschiffe Borodinó und Ssuwórow zählte sie auf. Insgesamt zweiundvierzig schwarze Pötte, die in der Nacht vom dreizehnten auf den vierzehnten Oktober des Jahres nullvier von allem, was nacktschwänzig war, verlassen wurde.
Doch Freund, rief sie, was reden wir hier von Untergängen, wenn es so vieler Schiffe zu gedenken gilt, mit denen wir unbesorgt reisten und ankamen, wenn auch tiefgefroren gelegentlich, wie jene neuseeländischen Ratten, die unbedingt von den Antipoden nach Europa wollten und Schiffe benutzten, die Hammelfleisch geladen hatten. Dennoch ließ sich der dem Frischfleisch zugedachte Kälteschock überleben. Er blieb für die tiefgefrorenen, im Zielhafen London wieder äußerst beweglichen Neuseeländischen folgenlos. Nichts hatte die Vereisung ihrem Rattengedächtnis nehmen können. Gefroren hielt es sich frisch. Kein Kälteschwund! Sie kamen mit Nachrichten und brachten mit nächsten Schiffen Nachrichten anderswohin.
Die Rättin pries das umlaufende, alle Kontinente verbindende Info-System der Rattenvölker, beklagte zwischendurch wieder den nachrichtenlosen Zustand während der posthumanen Zeit, um sich gesteigert für die technische Entwicklung der, wie sie sagte, auslaufenden Humanzeit zu begeistern. Von mitfliegenden Ratten erzählte sie, die nicht nur Lastflugzeuge, sondern auch Passagiermaschinen benutzten. Keine Fluggesellschaft, rief sie, die uns nicht zu ihren Reisenden zählte! Immer auf dem laufenden, waren wir allemal besser als das