Die Rättin
zu Kaisers Zeiten, ein ganzes Schublädchen voll im Habsburger Reich geprägt worden. Es sind Dukaten und Kronen, Goldrubel aus dem Rußland der Zaren und goldene sowjetische Gedenkmünzen darunter. Alle bestaunen eidgenössische Vreneli und den weltbeherrschenden Dollar, mexikanische Pesos und den Krügerrand. Sogar eine chinesische Prägung für Sammler, die den Pandabären zum Motiv hat, darf bestaunt werden. Die Stücke wandern rundum und kommen alle zurück.
»Ond daas mecht alles von Gold sain?« zweifelt Anna Koljaiczek und läßt nicht vom Rosenkranz.
»Es handelt sich um Dukatengoldstücke«, beteuert ihr Enkelsohn. »Für jedes Jahr, liebe Babka, ein Goldstück.« Nun wägt sie doch einen Altdanziger Dukaten aus Sigismund Augusts Königszeiten.
Indem er der ländlichen Sprechweise seiner Großmutter folgt, sagt Oskar: »Damit nich mehr Elend mecht sain.« Nur Joe Colchic gegenüber erwähnt er den seit geraumer Zeit sinkenden Goldpreis, nicht ohne anklagende Nebentöne, als habe er Grund, die amerikanischen Kaschuben für den Preisverfall seiner Tresorschätze verantwortlich zu machen.
Doch während sich die Gäste vergnügen viel belacht werden die Schlümpfe; die ersten Schnappschüsse mit der Polaroidkamera bereiten Spaß -, nähert sich unser Herr Matzerath dem Ohr seiner Großmutter, in deren Schoß die Goldstücke liegen. Er sagt: »Ach, Babka, schlimm sieht es in der Welt aus. Die Menschen wollen sich zugrunde richten. Sie sind der Vernichtung alles Lebendigen mächtig. Überall Vorzeichen: böse Zeit bricht an, wenn nicht heute, dann morgen.«
Ohne daß diese geflüsterte Ankündigung kommenden Unheils ihre Freude am lauten Durcheinander der Gäste und Verwandten mindern kann, sagt Anna Koljaiczek: »Ech waiß, Oskarchen, ieberall is der Daibel drinn.«
Dann will sie sein Ohr haben, näher, noch näher ran: »Frieher warn hiä Ratten hinders Haus. Mariaondjosef! Die sind nu wech alle.«
Mit dieser Auskunft mischt sich ihr Enkelsohn wieder in den Geburtstagsauftrieb. Er muß Münzen und deren Gewicht erklären. Immer noch jemand will ein Goldstück in der Hand wägen. Besonders wird ein mexikanisches Fünfzig-PesosStück bestaunt. Wiederholt beschwören die Kaschuben aus Kartuzy und Wejherowo, Firoga, Kokoszki und Karczemki die geprägte Gewichtangabe, fünfunddreißigkommafünf Gramm und die Zauberworte: »Oro Puro«. Sobald die goldene Last von Hand zu Hand wandert, bereitet sie einen kleinen Schrecken. Jemand, ein Kuczorra aus Chmielno, weigert sich das Goldstück zu berühren. Doch Kasy Kurbiella, der gerne den Spaßmacher und zwischen Frauen den geneigten Junggesellen abgibt, klemmt sich ein feingoldenes Schweizer Vreneli gleich einem Monokel ins Auge.
Nun nicht mehr mit Mütze, als Gast wird der Chauffeur Bruno jeweils anders gruppierten Kaschuben als Fotograf gefällig Da wollen sich die amerikanischen Colchics mit den Woykes aus Zukowo auf einem Bild sehen. Da stehen die australischen Vikings zwischen Stephan Bronski mit Frau, die eine geborene Pipka ist, und den Bronskisöhnen mit ihren anverlobten Bräuten. Da wollen die Eheleute Bruns das chinesische Porzellanpferd noch einmal fürs Foto dem Geburtstagskind zeigen. Die Stommas mit ihren halbwüchsigen Töchtern, die immer ein wenig beleidigt aussehen und geschubst und gestubst werden müssen, gruppieren sich mit den Stommas aus Kartuzy um Annas Lehnstuhl, den übrigens heute weißrot ein Pfingstrosengebinde erhöht. Trotz des Postsekretärs halblauter Proteste, besteht Kasy Kurbiella auf einem Schnappschuß, der die Leninwerftdelegation mit ihm, der in schmiedeeiserner Schrift »Solidarno[« vor weißer Hemdbrust trägt, für alle Zeit verewigt. Jedesmal ein Wunder, das stumm erwartet wird, sobald sich soeben noch blindes Papier zum Bild läutert. Wie zwischen Opfer und Wandlung ist es: unheimlich und spannend zugleich.
So flehentlich er sich weigert, natürlich muß unser Herr Matzerath immer wieder und möglichst zentral Motiv sein: zwischen Polens Kirche und Staat, als Bindeglied allzu verzweigter Familien, inmitten der Kaschubenkinder. Doch gleichzeitig wird getrunken, gesungen, gelacht, geweint. Mit den gedrängt stehenden Gästen bleibt der säuerliche Geruch. Nochmals und mit anhaltender Lust erklärt jeder jedem seine Krankheit, deren Behandlung und Dauer. Warum Kasy Kurbiella immer noch Junggeselle, wie groß Chicago, wie teuer das Leben in Hongkong ist, wieviel Anthony Viking bei der australischen Eisenbahn verdient. Streit nur
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