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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Menschengeschlecht informiert. Ein Jammer, daß uns heute so gut wie keine Nachricht zuläuft.
Aber Rättin, sagte ich, was braucht ihr Meldungen, Informationen? Ruhig und ohne überflüssige Schlagzeilen, die sich von Tag zu Tag aufheben, ohne diesen tagtäglichen Katastrophenrapport könnt ihr endlich rattengerecht für euch leben. Nachdem ihr aller humanen Hektik den Schlußpunkt gesetzt habt, sollten euch Neuigkeiten schnuppe und Sensationen zum Gähnen sein.
Im Prinzip hast du recht, räumte sie ein. Man lebt gelassener, wenn man nicht wissen muß, was hinter den Sieben Bergen auf dem Programm steht. Und doch wüßten wir gerne, wie anderswo lebende Ratten eine Entwicklung steuern, die unsere hier siedelnden Völker beunruhigt, mehr noch, gefährdet, schlimmer: ruinieren könnte, weil...
Rastlos hin und her sah ich sie in fließenden Konturen, dann wieder unscharf dreigeteilt und doch einstimmig. Sicher, rief sie, ist es verständlich, daß jene uralte Frau im Lehnstuhl, die gerne sterben möchte, aber nicht kann, von den ländlichen Ratten verehrt wird, sicher bieten sich im städtischen Bereich viele heilgebliebene Kirchen zur gemeinsamen Nutzung an; aber muß die Verehrung einer alten Frau, müssen die Zusammenkünfte unserer Völker auf dem Land zum Götzendienst verkommen und städtisch ins Irrationale entgleiten? Es läßt sich nicht leugnen: wir werden religiös. Kaum ist das Menschengeschlecht verschwunden, beginnen wir hinter die Dinge zu gucken, Sinn zu suchen, uns Bildnisse zu machen. Das alles wäre, wenn nicht verständlich, so doch erträglich, ließe ein einziger, einigender Glaube uns Ratten fromm werden. Aber nein, es wird nach Menschenart in Abweichungen geglaubt. Äußerlichkeiten markieren Richtungen, die jeweils einem anderem Credo folgen. Schon bieten sich Gründe für Streit an, der ausgetragen werden will; und zwar unversöhnlich, als müsse dem Humanen nachgelebt werden.
Schärfer in ihren Konturen, doch schärfer auch bis in die Witterhaare gedrittelt, sagte die Rättin: Grob unterschieden, zeichnen sich drei Konfessionen ab, wobei die Herkunft unserer Rattenvölker eine gewisse Rolle spielen mag: Wir sind in dieser Region alteingesessene Ratten, dann gibt es solche, die kurz vorm Großen Knall über die sogenannte Landrattenbrükke aus dem Westen zuwanderten, und solche, die kürzlich aus der Weite des russischen Raumes einsickerten; dabei sind alle drei Völker in ihrem Wesen und bis ins Zinkgrüne ihrer posthumanen Behaarung nicht grundsätzlich verschieden, nur frömmeln sie widersprüchlich...
Als sie das sagte, wußte ich nicht, welche von ihnen frömmeln und widersprüchlich gesagt hatte, denn drei Rättinnen, träumte mir, belebten das Bild. Sie mieden sich oder standen steil gegeneinander. Unruhig huschten sie hin und her. Eine Rättin verfolgte die andere, die der dritten hinterdrein war. Nie wußte ich, welche zu mir im Traum sprach. Sie überschrieen sich, beschuldigten einander. Absurde Vorwürfe hörte ich, nach denen die eine Rättin die andere dorthin verwünschte, wo sie hergekommen, weit weg nach Rußland, worauf sie der dritten polnische Wirtschaft vorwarf, um von der russischen, der polnischen Rättin, die einander weiß Gott mit wechselwirkendem Haß sahen, als Preußin beschimpft zu werden.
Doch eigentlich ging es im Streit der drei Rättinnen, von denen jede meine sein konnte, um Glaubensfragen. Ihrem Gezänk war christlicher Hader abzuhören. Es menschelte, sobald sie Nächstenliebe gegeneinander austrugen. Wenn die eine protestantisch eiferte, blieb die andere starrsinnig katholisch, während die dritte doch welche!? den Eifer und Starrsinn der anderen Rättinnen orthodox zu überbieten versuchte. Zum Sprung geduckt oder bißwütig gegeneinander gestellt, die Zähne entblößt, die Witterhaare empört. Dann zischelte wieder jede abgewendet für sich; ich hatte Mühe, ihr Streitknäuel zu entwirren.
Allen theologischen Zwist, und was sie sonst noch humanisierten, beiseite gelassen, ging es um Raumfragen: wer sich wann in welcher Kirche versammeln dürfe. Jene aus Rußland zugewanderten Ratten, die mehr schlecht als recht im Morast der Weichselniederung hausen mußten, beanspruchten die von Schlammlawinen eingeschlossene Barbarakirche in der Niederstadt einzig für sich. Den kurz vor Schluß aus Deutschland zugewanderten Ratten und den alteingesessenen ging es um Sankt Marien und um Nutzung und Aufteilung der restlichen Sakralgebäude. Auf keinen Fall wollten die

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