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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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auf Armen, Schenkeln und Brüsten schmeichelt sie flaumig, fellartig dicht liegt sie den Schultern an, flauschig bettet sie kurios anmutende Ringelschwänzlein knapp unterm Steiß, das Haupthaar nicht vergessen. Vom Rattenköpfchen abwärts ach, ihre weißbewimperte Blauäugigkeit! fällt es den Rücken lang glatt, aber auch lockig, so daß mir, dank filmischer Aufbereitung der Lockenpracht, neuerdings meine Damroka in Träumen faßlich wird.
Langsam bis zögerlich: sie ist es, schöngelockt. Und meiner Damroka Bernsteinkette hängt ihr nun an. Ach, lieber Herr Matzerath, wie wünsche ich mir den Sieg der Watsoncricks über die niederen Rattenvölker! Und schon nimmt mein Wunsch Gestalt an und erlaubt zaghaftes Hoffen...
Jedenfalls sagt die Rättin, was auch der Videofilm ortskundig vorauswußte: Nach der Anlandung bei Glockengeläut nehmen sie Revier nach Revier, die gesamte Rechtstadt zwischen Vorund Altstädtischem Graben in Besitz, ohne Gewalt übrigens, kraft gelassen bewiesener Autorität. Sie vernichten die Rattenvölker nicht, drängen sie nur, eigenen Bedürfnissen folgend, beiseite. Selbstverständlich, nicht fordernd nehmen sie Anteil an Gerste-, Mais-, Sonnenblumenvorräten. Bei der Lagerung und Verteilung der städtisch zentral gehäuften Vorräte sind sie ordnend und planend behilflich.
Die Rättin gibt zu: gerecht, wenn auch nach zunehmend längeren Wartezeiten, wird ausgeteilt. Weiterhin bleibt den Rattenvölkern der Besuch der Marienkirche, ferner der Kirchen Sankt Katharinen, Birgitten, Trinitatis und Nikolaus erlaubt. Bei ihrer Gesetzgebung, die gaumig bis kehlig, aber auch anheimelnd verschlumpft gesprochenes Recht verkündet, fällt allgemein Toleranz auf: Nicht mehr dürfen die Katholischen das letzte Wort haben; es ist allen Ratten die Ausübung jeglicher Religion gestattet. Also beten sie wieder auf verschiedene Weise. So geregelt verläuft hinter begrünten Schlammwällen städtisches Leben; die ländlichen Reviere lassen sie, bis auf gelegentliche Kontrollgänge, außer acht. In Kartuzy, Tczew und Novy Staw, das vormals Neuteich hieß, haben sie Außenstellen errichtet.
Alles in allem führen die Schwedischmanipulierten und die kaschubischen Ratten sowie die zugereisten kürzlich wanderten afrikanische Großsippen ein auf verträgliche Weise ein harmonisches Leben, das unser Herr Matzerath, der einerseits verschrumpelt zu Füßen der geschrumpften Großmutter hockt und andererseits mit seinem Dauerkatheter fortexistiert, gerne der Zukunft vorbehält.
Nachdem er mir seinen Videofilm »Davor und danach« exklusiv gezeigt hatte, sagte er: »Wenn wir demnächst meinen sechzigsten Geburtstag feiern, möchte ich mit Ihnen gerne Ihre liebe Frau unter den Gästen sehen.«
    Als gäbe es kein Telefon, per Postkarte wurde mir das Einlaufen des Schiffes in den Hafen von Travemünde gemeldet: »Brief folgt.«
Im folgenden Brief steht besorgt viel Liebes: neben der Wolldecke fürs Doppelbett sei ein Pullover für mich fertig geworden. Weiterhin lese ich: Wie geplant hätte die Schiffsreise ihren Verlauf genommen. Sogar die Küstengewässer der DDR wären ohne besondere Schwierigkeit zu befahren gewesen. Allerdings habe man weder Greifswald noch Peenemünde anlaufen dürfen. »Zuviel Konservenkost! Abends wurde oft Chormusik a cappella gehört.«
Weiter sagt der Brief, daß der Forschungsauftrag annähernd erfüllt worden sei. Zwar müsse ein weiteres Zunehmen der Ohrenquallenbestände befürchtet werden, doch könne man nicht oder noch nicht von einer Verquallung der Ostsee sprechen. Bei andauerndem Algenbefall bleibe jedoch ein regionales Umkippen als Gefahr weiterhin angezeigt, überm Flachwasser stinke die See. »Ich jedenfalls habe vom Quallenzählen die Nase gestrichen voll.«
Ich lese im Brief, der der Postkarte folgte, natürlich hätten sich Spannungen an Bord nicht vermeiden, lassen. »Was ich vorausgesagt habe: viel zu eng ist der Kahn!« Natürlich seien olle Kamellen wieder mal aufgewärmt worden. Rückblickend sei das Verhalten der Steuermännin, die immer, selbst wenn es krächze, die erste Geige spielen müsse, besonders ärgerlich. Trotz heftigem Wortwechsel mit der Maschinistin »und zwar in Visby, beim Landgang, wo sie uns alle ins Kino geschleppt hat, irgendein Amischinken lief: Monstren, halb Tier, halb Mensch...« sei mit ihr auszukommen gewesen. Enttäuschend das Verhalten der Meereskunden: »Die kennt ihre Arbeit nur.«
Alle drei, sagt der Brief, seien in Kiel schon von Bord

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