Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
Vom Netzwerk:
hättet zu uns, die wir Angst hatten und zeigten, kommen können und sagen: Lehrt uns, liebe Ratten, mit euch zu leben. Töricht glaubten wir Menschen, wir seien uns genug. Was wir taten, dachten, zwischen Reime zwangen, zum Bild, zu vielstimmiger Musik, zum sich überhebenden Turm werden ließen, war auf Unsterblichkeit aus. Doch irritiert uns neuerdings der Gedanke, es werde zukünftig nicht mehr uns, sondern nur euch noch geben. Lehrt uns, wir bitten herzlich darum, mit euch unsterblich zu bleiben. Wir tun euch auch Böses nie wieder an und sagen euch Böses nie wieder nach. Bitte, belehrt uns!
Unsinn! hätten wir gerufen, sagte die Rättin. Entsetzt hätten wir uns dagegen verwahrt. Selbst wir sind sterblich. Auch das Rattengeschlecht ist zeitlich nur und weiß sich seit Rattengedenken zeitlich begrenzt. Doch wenn wir euch hätten lehren können, wäre die erste Lektion so ausgefallen: Fortan macht die Erziehung des Menschengeschlechts Schluß mit dem Gerede von der Unsterblichkeit. Der Mensch lebt, solange er lebt. Nach dem Tod ist nichts. Und nichts außer Müll wird bleiben von ihm. Habt also Angst, ihr Menschen, fürchtet euch und seid sterblich wie wir, dann lebt ihr ein bißchen länger vielleicht.
Aber sie sprachen mit unsereins nicht, sagte die Rättin. Waren in ihr Endspiel vernarrt. Keine Warnung verfing. Gratis zeigten wir uns als angstgetriebene Rattenvölker. Erst als der letzte Versuch, ihnen, die angstfrei waren, lebensnotwendige Angst zu machen wir produzierten grauschwarze Wolken in flüchtiger Rattengestalt -, nur dumme Sprüche über Trugbilder oder einschlägige Bibelzitate zur Folge hatte, war unsere Geduld am Ende: wir gaben die Menschen auf und machten Schluß mit ihnen, bevor sie, überraschend für uns, aufs Knöpfchen hätten drücken können...
Ich schwieg: Rede nur, Rättin, rede!
Sie sprach noch lange belehrend und allgemein, nahm dann aber mich in der Raumkapsel wahr und sagte: Nur du, Freund, hörst uns und bist einsichtig aber zu spät. Dosch Minscher nibbelet Ultemosch! wie unsereins damals sagte. Und doch haben wir frohe Botschaft für dich. In deiner Gegend, wo du zu Hause warst, sieht es noch immer ein bißchen wie früher und ziemlich gotisch aus. Das mag dich überraschen, ist aber aus letzter Menschensicht fürsorglich geplant gewesen. Siehe! rief sie, brachte aber außer sich nichts ins Bild, behauptete nur, es hätten vier oder fünf über GdaDsk gezündete Schonbomben zwar alles Leben im Stadtgebiet, im Umland der Weichselmündung und bis in die Kaschubei gelöscht, doch seien, bei schwacher Druckwelle und weil der MehrfachSprengkopf in neunhundert Metern Höhe gezündet worden war, die historischen Gebäude der Stadt alle erhalten geblieben, desgleichen umliegende Wohnsilos und Hafenanlagen. Das stünde alles in seinen Mauern und Konstruktionen. Einzig das hölzerne Krantor sei abgebrannt und alle Fensterscheiben, sogar die Kirchenfenster hin.
Sie sagte: Woanders sieht es schlimm aus. Die Industriestadt Gdynia und die benachbarten Städte Weihjerowo und Sopot sind bis in die Fundamente zerstört, doch bei dir zuhaus ließe sich wohnen. Obgleich Staubund Aschestürme während der Zeit grimmiger Kälte und lastender Finsternis jedes Gemäuer, alles was heil geblieben war, mit Ruß überzogen haben, ist doch das Stadtbild ungekränkt; seine Schönheit dauert, freue dich!
Der nun folgende Vortrag der Rättin war so fachkundig weitschweifig, daß er im Traum noch ermüdete. Kurzgefaßt sagte sie: Diese Spezialwaffen waren Weiterentwicklungen jener taktischen, für die Kurzstreckenrakete Lance produzierten Neutronengeschosse, die zu Beginn der Endphase umstritten waren und geächtet werden sollten, weil ihre nur Festkörper schonende Wirkung inhuman genannt wurde. Dem zu widersprechen, kann aus Rattensicht nicht unsere Aufgabe sein, doch läßt sich soviel zugunsten des später hochentwickelten Systems sagen: durch die Produktion großflächig wirksamer Neutronenbomben wurde endlich der Schutz von Kulturdenkmälern möglich. Übrigens verfügten beide Schutzmächte über dieses dem Kulturgut verpflichtete Potential. Soviel wir wissen, sind etliche Ansammlungen von Baudenkmälern weltweit heilgeblieben. Leider ging, trotz allseitiger Bemühungen, Jerusalem verloren, doch durften die bei Gizeh versammelten Pyramiden in ihrer auch uns vertrauten Gestalt überdauern. Gerade noch rechtzeitig hatte ein Abkommen zwischen den beiden Schutzmächten eine ausgewogene Zahl von Schonzonen

Weitere Kostenlose Bücher