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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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sie auch jetzt noch im Inneren so protestantisch weißgekälkt nach Malskatscher Wandmalerei schreit? Ich wollte hinein, doch die Rättin erlaubte keinen Kirchenbesuch. Später, sagte sie, später vielleicht.
Die Lange Brücke entlang, durch alle Tore zur Mottlau hin herrschte Rattenbetrieb. Entweder fraßen sie oder paarten sich. Ich wollte nicht sehen, was sie in sich hineinfraßen. Diese zähledernen Klumpen mochten wasweißich gewesen sein. Die Rättin schonte mich, sprach nicht wie sonst ohne Unterlaß, sondern sagte Bibelzitate her, die sich auf jene Tätigkeit der Ratten bezogen, welche dem Wort genügte: mehret euch. Menlin bestiegen wie blindlings Frewlin, die sich besteigen ließen, ohne Auswahl zu treffen. Dann fraßen sie wieder: irgendwas.
So sind wir, sagte die Rättin: Sorge um Nahrung, auf daß wir uns mehren, hält unsereins beweglich. Wüßtest du Besseres, Die Liebe, sagte ich, das große, umfassende, seine Wahl treffende, dieses himmlische und doch zutiefst menschliche Gefühl, das mich, wenn ich an meine Damroka denke... Geschenkt! rief die Rättin. Als es mit euch zu Ende ging, wußtet ihr Menschen nicht mehr, wer Männchen, wer Weibchen war. Verwirrt von euren Kopfgeburten, wolltet ihr beides zugleich sein, zeugende Säuger, die sich selbsttätig mit ureigenem Pimmel in ureigener Möse zu gefallen suchten. Wir lachten beide. Gut, Rättin! Für dich zu träumen lohnt. Das will ich den seefahrenden Frauen erzählen, die mich abgeschrieben, mitsamt dem kleinen Unterschied ausgebootet haben... Dann verließen wir die Rechtund Altstadt, die längs der Wallgasse, überall dort, wo man an ihre Grenzen stieß, von Schlammund Geröllmassen eingeschlossen war. Ausläufer des schlammigen Breis, der aber trocken, begehbar zu sein schien, drängten in den Hohen Seigen, den Schlüsseldamm, bis vors Jakobstor und zum Eingang der Werft, die in Metallschrift immer noch Leninwerft hieß. Dort ragte, aus drei hohen Eisenkreuzen errichtet, an denen, als könne man Anker kreuzigen, drei schmiedeeiserne Anker hingen, das Denkmal für jene Arbeiter, die im Dezember siebzig von der Miliz erschossen wurden.
Ich sagte: Ehrlich, Rättin, ehrlich, was haltet ihr Ratten von Solidarno[?
Sie sagte: Dieser Gedanke war uns in der Praxis schon immer eigen.
Und würdet ihr zukünftig, wenn Herrschaft euch drücken würde...
Nie wieder, sagte sie, wird sich das Rattengeschlecht in Löcher verkriechen.
Aber wenn sich, nur angenommen, eine Oberratte... Lächerlich! rief sie. Sowas denken nur Menschenhirne sich aus. Unsereins ist nichts übergeordnet.
Im Hafengelände stand und lag, was aus Humanzeiten unversehrt stehengeblieben, liegengeblieben war: Kräne, Container, Gabelstapler, verschieden kalibriges Kriegsgerät. An Pollern festgemacht: drei Minensuchboote, fertig zum Auslaufen. Doch keine Hand, kein Kommando und keine Möwen mehr. Nur Ratten, überall Ratten, die auch hier dem Bibelwort folgten. Auf jedem Schiffsdeck, gehäuft um Container, die sie nagend durchlässig gemacht hatten, die Kaianlagen entlang. Ihr zinkgrünes Fell vor und auf dem geschwärzten Schrott. Einzig sie brachten Farbe ins Bild.
Wieder lachte die Rättin. Weißt du übrigens, Freund, was Ratte auf Polnisch heißt?
Nichts wollte ich wissen. Meine Raumkapsel wollte ich wieder beziehen, enthoben sein, auf Distanz gehen, anders bewegte Bilder träumen. Nur weg von hier!
Szczur, sagte die Rättin, bevor sie verging. So heißt auf Polnisch die Ratte. Szczur! rief sie mir nach. Nachsprechen bitte: Szczur!

Es ist ja nicht so, daß die Kaschubei nur Hinterland, eine vom großen Geschehen vergessene Provinz, jene gehügelte Beschränktheit hinter den Sieben Bergen ist, die sich selbst genügt; Anna Koljaiczeks kaschubisches Kraut wuchert weltweit. Ableger der Linie Woyke, die nach Zukowo zurückweist, wo früher das Kloster war, bis es Domäne wurde, verschlug es, als wieder einmal ein Krieg zu Ende ging, nach Australien: Zwei Brüder Woyke, die unehelich ihre Mutter Stine zurückließen, reisten per Schiff und nahmen Bräute aus Kokoszki und Firoga mit.
Nach dem einen und dem nächsten Krieg wanderten etliche vom Zweig Stomma und ein Kuczorra nach Amerika aus, wo sie in Chicago und Buffalo Nachkommen jenes Josef Koljaiczek vorfanden, der, wie man weiß, zu Beginn des Jahrhunderts unter Flößen seiner Anna entschwand; seitdem viele im Kleinund Großhandel tüchtige Colchics.
Ein Bronski aus Annas väterlicher Wurzel, die in Matarnia Boden hat, ist schon zu

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