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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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geht es vor allem um meine Großmutter. Einzig sie ist mir leibhaftig geblieben. Zu ihr, nur zu ihr will ich. Allerdings wohnt Anna Koljaiczek nicht mehr in Bissau-Abbau, sondern mehr nach Matern hin, das heute Matarnia heißt. Der Bau des neuen Flughafens war Grund dieser Vertreibung. Deshalb sind jene Kartoffeläcker, die meine Großmutter von Jugend an bestellt und nachgehackt hat, wie manch anderer Mythos auch, unterm Beton verschwunden.«
Während er im lädierten Mercedes unterwegs ist und sich, nach traumloser Übernachtung, von Posen her Bromberg nähert, müssen nun andere Fragen, wenn nicht ihm, dann rhetorisch gestellt werden: Warum abermals Oskar? Hätte er nicht dreißig Jahre alt und in seiner Heilund Pflegeanstalt bleiben können? Und wenn schon gealtert und neuerdings medienverrückt, warum dann zum Hundertundsiebten erst? Weshalb nicht vor Jahren, als es Anlaß genug gab, die runde Zahl zu feiern? Und warum verbat sich Anna Koljaiczek zu allen abgefeierten Geburtstagen Umstände oder wie sie es nannte Fisimatenten, bis sie endlich doch einladende Postkarten in alle Welt verschicken ließ?
Weil sie von Unruhe bewegt war, die mit ihr auf der Bank vorm Haus Platz nahm. Weil ihr seit Jahren inständiger Satz, »Nu mecht baldich zuende jehn«, nicht mehr nur sie, die Uralte meinte, sondern sich umfassend festigte: »Nu mecht baldich aus sain mid alles was is.«
Deshalb bekamen alle, die ihr nah wie fern nahe waren, Postkarten, die der Priester in Matarnia für sie schreiben mußte; denn Anna Koljaiczek hatte zu Hochwürden gesagt: »Faiern willich, abä schraiben muß waißnichwer.«
Und solch eine Postkarte rief auch unseren Herrn Matzerath, der zwar Jahr für Jahr pünktlich der Geburtstage seiner Großmutter gedacht hatte, aber seit Ende des letzten Krieges, als er in einem Güterwagen krank in den Westen gerollt wurde, nie wieder nach Hause gekommen war. Nun reist er in nordöstliche Richtung und starrt ängstlich, als suche er Halt dort, auf den Nacken seines Chauffeurs; denn mit Anna Koljaiczek sieht auch er ziemlich schwarz.
    Ein Tuch drüber und fertig! Weil ich nicht will, daß jetzt wieder die Rättin spricht, bleibt der Käfig meiner Weihnachtsratte verhängt. Nichts sehen, nichts hören! Kein Drittes Programm, in dem, zwischen Barockmusik, die Welt in Kommentare zerfällt. Weiß ich doch, daß es bergab geht, immer schneller sogar. Auf meinen Papieren sieht es nicht besser aus: überall stirbt der Wald. Malskat? Das war einmal. (Wer will noch wissen, wie jener Bischof von Lübeck hieß, der ins Chorschlußgewölbe ein steingehauenes Hakenkreuz fügen ließ?) Bleibt das Schiff. Vielleicht kommt es davon. Ich sollte mich an die Frauen halten...
Jetzt ist Gotland in Sicht. »Die Neue Ilsebill« macht neun Knoten Fahrt. Der Forschungsewer lärmt, so rüttelt der Diesel. Damroka will alle Zeit zurückgewinnen, die verloren ging, als gestritten wurde und aus Prinzip Ohrenquallen gezählt werden mußten.
Jetzt streiten die Frauen nicht mehr. Die Meereskundlerin versichert, es liege nun Material genug vor.
Die Steuermännin sagt: »Wenn wir zwischen Öland und Gotland noch kurz paar Messungen machen, sind wir fertig und können von mir aus...«
Damroka schweigt. Sie will nicht nochmal und nochmal sagen, was der Butt ihr gesagt hat.
Die Alte ruft überm Abwasch aus der Kombüse: »Wir werden schon nicht zu spät kommen. Euer Vineta läuft euch nicht weg.«
Und auf den Vorschlag der Steuermännin, zwischen Rügen und Usedom solle noch paarmal der Meßhai rausgehängt werden »Damit uns die DDR-Heinis unseren Forschungsdrang glauben« —, sagt die Maschinistin: »Martha hat recht. Die lassen niemand in ihr Gewässer, der nur Vineta suchen will und sonst nichts.«
So altmodisch und streng heißt die Steuermännin, die aber, riefe ich sie vertraut beim Namen, nicht Martha, sondern ganz anders hieße. Und wenn die Maschinistin hier plötzlich Helga, die Meereskundlerin Vera heißt, haben beide, wo sie sonst wirklich und nebenbei gesagt erfolgreich berufstätig sind, ganz anders lautende Namen. Auch Damroka wird hier nur Damroka gerufen und kommt, wo sie mir nah ist, mit weniger Silben aus. Nur die Alte könnte jederzeit und allerorts Erna heißen. Ich muß das sagen, weil die fünf Frauen an Bord des Schiffes so, wie man sie anderswo ruft, niemals zusammen ein Schiff befahren würden; nur meine Willkür hat sie auf Deck, mittschiffs, in Hängematten versammelt und auf gewünschten Kurs gebracht. Das war

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