Die Räuber
Ihnen nicht verdrießlich,
ja höchst fatal sein, einen schlechten Charakter darstellen zu
müssen?“
„Wenn,“ erwiderte der Graf lachend, „wenn die Rolle sonst
interessant ist und Gelegenheit gibt, das Talent zu entwickeln,
wie es denn bei Bösewichtern gewöhnlich der Fall zu sein
pflegt, ich würde und könnte mich eben nicht sträuben.“
„Nun dann,“ fuhr Willibald fort, „mein Freund Hart-
mann meinte gestern scherzend, hier in einem alten prächti-
gen Schloß wären die eben auch in einem Schloß spielenden
Hauptpersonen der Schillerschen Räuber versammelt, bis auf
Hermann und den alten Daniel; als nun bei der Tafel wirklich
solch ein alter Diener namens Daniel —“
Willibald stockte, da er wahrnahm, daß furchtbare Toten-
blässe des Grafen Antlitz überzog, daß er wankend sich kaum
aufrecht zu erhalten vermochte.
„Verzeihen Sie,“ sprach er mit bebenden Lippen, „verzeihen
Sie, meine Herrn, eine Art von Schwindel — ich fühle mich
plötzlich krank!“ — Sich mit Mühe ermannend, verließ der
Graf das Zimmer.
„Was ist das, was geht hier vor?“ sprach Hartmann.
„Hm,“ erwiderte Willibald, „toller Spuk, Teufeleien! — Ich
glaube, du hattest recht, als du meintest, der Hase, der hier im
Pfeffer liege, sei ein böses Tier. Entweder ist Graf Franz wirk-
lich auf irgendeine Weise schuldbelastet, oder der Gedanke an
jenes entsetzliche Verhältnis Amaliens in den Schillerschen
‚Räubern‘, woran ich ihn sehr unvorsichtigerweise erinnerte,
zerschnitt so tötend sein Herz. — Ich hätte schweigen sollen;
wer konnte aber auch wissen —“
„Nur,“ unterbrach Hartmann den Freund, „nur jedenfalls
mußte es den Grafen kränken, sich plötzlich in der Rolle jenes
höllischen Bastards zu sehen, und schon deshalb hättest du
nicht mit der Wahrheit herausrücken, sondern auf der Stelle
irgendeine andere Ursache unsers Erstaunens angeben sollen.
Gar keine Lust spüre ich übrigens, tiefer in das Geheimnis,
das hier obwaltet, dringen zu wollen, und da meine Wunde
beinahe ganz geheilt, halte ich für das Geratenste, den alten
Grafen zu bitten, daß er uns morgenden Tages fortschaffen
lasse bis zur nächsten Station.“
Willibald meinte dagegen, es sei doch besser, noch ein paar
Tage zu verweilen, damit Hartmanns gänzliche Genesung
keinen Rückfall und neue Störung der Reise befürchten lasse.
Die Freunde gingen in den Park. Als sie sich einem ent-
fernten Pavillon näherten, hörten sie, wie in demselben ein
Mann zornig sprach, und dazwischen Klagetöne eines Wei-
bes. Sie glaubten die Stimme des jungen Grafen zu erkennen
und vernahmen, als sie dicht an die Türe getreten waren, ganz
deutlich die Worte: „Wahnsinnige, ich weiß, daß du mich ver-
abscheuest, weil ich dich anbete, weil mein ganzes Wesen nur
in dir lebt, atmet! — Aber ihn trägst du im Herzen, ihn, den
Verruchten, der Schande auf Schande über uns häuft. Fliehe,
betörtes Weib, fliehe hin, suche ihn auf, den Abgott deiner
Liebe, er wartet deiner in der Räuberhöhle oder im finstern
Kerker! — Doch nein, nein, jenem höllischen Teufel zum
Trotz lasse ich dich nicht aus meinen Armen.“
„Bösewicht — Hilfe! Hilfe!“ — so kreischte die weibliche
Stimme laut auf.
Willibald stieß ohne weiteres die Türe ein. Gräfin Amalia
riß sich aus den Armen des jungen Grafen und entfloh mit der
Schnelligkeit des aufgescheuchten Rehs.
„Ha!“ rief der Graf den Freunden mit entsetzlicher Stimme
entgegen, indem seine Augen funkelten in wilder Glut, „ha! —
Ihr kommt eben recht! — Ja, ich bin Franz! ich will es sein!
ich muß es sein — ich —“
Plötzlich war seine Stimme erstickt, und mit dem kaum
vernehmbaren Wort: „Helfer!“ — sank er nieder.
So zweideutig den Freunden der ganze Auftritt auch er-
schien, so sehr sie überzeugt waren, daß der Graf in seinem
Tun wirklich jenem satanischen Bösewicht ähnlich, doch
mußten sie einsehen, daß es Pflicht war, ihm beizustehen. Sie
richteten den Grafen auf, setzten ihn in einen Lehnsessel, und
Hartmann bestrich seine Stirne mit einem kräftigen Spiritus,
den er bei sich zu tragen pflegte.
Mühsam erholte sich der Graf und sprach, beider, Willi-
balds und Hartmanns Hand erfassend, mit einem Ton, der
von dem tiefsten herzzerreißendsten Jammer zeugte: „Sie
haben recht! — ein Trauerspiel, ebenso entsetzlich als jenes,
an das die Namen unsers Hauses Sie erinnerten, wird viel-
leicht hier
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