Die Räuber
äußerte, daß es mir nicht gelungen, ihren wah-
ren Familiennamen zu erfahren. Da heftete sie ihren Blick fest
auf mich und sprach mit dem Ton der tiefsten Trauer: „Wie,
mein Herr? — sollten Sie mich nicht kennen? sollten Sie mich
nicht schon oft unter den Schrecknissen des fürchterlichsten
Verhängnisses erblickt haben, nicht schon oft von dem unge-
heuern Geschick erschüttert worden sein, das mich so grim-
mig erfaßte? — Ja, ich bin jene unglückliche Amalia, Gräfin
von Moor, aber die schwärzeste Verleumdung ist es, daß mein
Karl mich selbst getötet haben solle. Nur scheinbar tat er das,
um die wilde Horde zu beschwichtigen. — Es war nur ein
Theaterdolch, den er mir auf die Brust setzte.“ — Dies letzte
sprach die Gräfin ganz leise und beinahe lächelnd. Dann fuhr
sie im vorigen Tone fort: „Schweizer und Kosinski, die edlen
Menschen, haben mich gerettet. Sie sehen, mein Herr, ich lebe,
und kein Leben ist ohne Hoffnung. Der Kaiser wird, er muß
den Grafen Karl von Moor begnadigen, er darf das aber nicht
eher tun, bis Graf Franz gestorben. Der hat aber drei Leben.
Zweimal ist er schon gestorben — ich selbst (dicht herange-
rückt, zischelte mir die Gräfin dies ins Ohr) — ich selbst —
diese Hand hat ihn einmal getötet. Nun lebt er noch das dritte
Leben, ist das geendet auf gewaltsame Weise, wie es bald ge-
schehen wird, so ist alles gut. Karl kommt wieder, erhält den
Besitz der ihm entrissenen Herrschaft in Böhmen, und auch
meine entsetzliche Qual ist vorüber. Als mein Oheim starb,
berührte ich mit dieser Hand, die dem Sohn das zweite Leben
raubte, das linke Auge, und da blieb es offen, und alle ver-
mochten es nicht zuzudrücken — und er schaut mich noch
immer mit diesem Auge an.“ — Die Gräfin versank in tiefes
Nachdenken, fuhr dann aber plötzlich auf und rief, indem je-
nes düstre Feuer des Wahnsinns aus ihren Augen blitzte, mir
zu: „Finden Sie mich schön? — Könnten Sie mich lieben? — o,
ich kann Ihre Liebe reich lohnen! — Entführen Sie mich dem
Verhaßten. — Rette, o rette mich!“ —
Die Gräfin wollte sich an meine Brust stürzen, da faßte
sie aber der Hauswirt bei den Armen und sprach halb leise:
„Gnädige Gräfin — gnädige Gräfin, er ist da! es ist die höchste
Zeit. — Sie müssen fort.“ — „Du hast recht, guter Daniel,“ er-
widerte sie ebenso — „ja ganz recht — fort, fort!“ Und damit
sprang sie schnell fort aus dem Gemach.
Ich bebte, wie vom Fieberfrost geschüttelt, stammelte un-
verständliche Worte! — „Sie sind erschrocken, mein Herr,“
sprach der Wirt lächelnd, „aber es hat jetzt nicht mehr das
mindeste zu bedeuten. Sonst, ehe ich aus ihren Reden mir es
erlauscht hatte, wie ich mich zu benehmen, geriet sie jedesmal,
wenn sie geschrieen: ‚Rette, rette mich!‘ in Wut; jetzt aber
packt sie schnell ihre Juwelen ein und läuft unter allerlei wir-
ren, wunderlichen Reden umher, bis sie in tiefen Schlaf ver-
fällt, aus dem sie in ihrem gewöhnlichen ruhigen Zustande
erwacht.“ —
Als ich nach Hause kam, fand ich Deinen Brief! — Kein
Wort mehr. —
O Hartmann! mein innigst geliebter Freund, „wir stehen
mitten in Schillers ‚Räubern‘ “, sprachst Du damals, aber der
Gedanke, der nichts weiter schien als ein Scherz, berührte den
Pendl des verderblichen Räderwerks, das mich, den Leichtsin-
nigen, erfaßte, und dessen das Innerste zerfleischende Kraft
ich noch fühle. — Lebe wohl etc.
Als Hartmann seinen Freund endlich in Berlin wiedersah,
fand er ihn zwar geheilt von der verderblichen Stimmung,
die auch physischem Leid zuzuschreiben; beide, Willibald
und Hartmann, gedenken aber noch jetzt, sind sie am späten
Abend traulich beisammen, oft jenes entsetzlichen Trauer-
spiels in Böhmen, dessen ersten Akt ein seltsames Verhängnis
sie mitspielen ließ, und in ihrem innersten Gemüt erbeben
dann tiefe Schauer.
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