Die Räuberbraut
Mähdrescher, all seine eigenen Maschinen. In der zweiten Woche, die Karen auf der Farm war, fing eines der Hühner an zu brüten und baute sein Nest auf dem Sitz des Traktors statt in seiner Box. Karen fand es. Es saß auf dreiundzwanzig Eiern. »Das machen sie oft«, sagte die Großmutter. »Sie wissen, daß wir ihnen die Eier wegnehmen, deshalb schleichen sie sich heimlich weg. Die anderen Hühner haben diesem hier ihre eigenen Eier untergeschoben. Um sich selbst die Mühe zu sparen, die faulen Schlampen.«
Das Huhn mußte trotzdem ins Hühnerhaus zurück, wegen der Wiesel. »Sie kommen nachts«, sagte Karens Großmutter. »Sie beißen die Hühner in den Hals und saugen ihnen das Blut aus.« Die Wiesel waren so dünn, daß sie sich durch die schmälsten Ritzen zwängen konnten. Karen stellte sie sich vor, lange, dünne Tiere, wie Schlangen, kalt und lautlos, die durch die Wände glitten, mit offenem Maul, mit böse glitzernden Augen, die scharfen Fänge bereit zum Zuschlägen. Eines Abends, als es schon dunkel war, schickte ihre Großmutter sie mit einer Laterne ins Hühnerhaus, während sie selbst draußen blieb und nach Rissen zwischen den Balken suchte, durch die das Licht fiel. Ein einziges Wiesel in einem Hühnerhaus, sagte sie, und man konnte die Hühner vergessen. »Sie töten nicht, um zu fressen«, sagte sie. »Sie töten, weil es ihnen Spaß macht.«
Karen sah sich das Foto ihres Großvaters an. Sie konnte nie viel aus Fotos herauslesen; die Körper auf ihnen waren einfach nur flach, aus schwarzem und weißem Papier gemacht, und kein Licht schien aus ihnen hervor. Der Großvater hatte einen Bart und buschige Augenbrauen und trug einen schwarzen Anzug und einen Hut; er lächelte nicht. Karens Großmutter sagte, er sei Mennonit gewesen, bevor er sie heiratete und mit den anderen brach. Karen konnte sich darunter nichts vorstellen, weil sie nicht wußte, was ein Mennonit war. Ihre Großmutter sagte, es sei eine Religion. Die Mennoniten benutzten nichts, was neumodisch war, sie blieben für sich, sie waren gute Farmer. Man konnte eine Mennoniten-Farm daran erkennen, daß sie ihre Felder immer bis an den äußersten Rand bestellten. Außerdem hielten sie nichts vom Krieg. Sie weigerten sich, zu kämpfen. »In Kriegszeiten sind sie nicht besonders beliebt«, sagte sie. »Es gibt Leute in dieser Gegend, die bis heute nicht mit mir reden, wegen ihm.«
»Ich halt auch nichts vom Krieg«, sagte Karen ernsthaft. Zu diesem Schluß war sie gerade gekommen. Es war der Krieg, der die Nerven ihrer Mutter ruiniert hatte.
»Hm, ich weiß zwar, daß Jesus gesagt hat, wir sollen die andere Wange hinhalten, aber Gott hat gesagt, Auge um Auge«, sagte ihre Großmutter. »Wenn die Leute anfangen, deine eigenen Leute umzubringen, sollte man auch kämpfen. Das ist meine Meinung.«
»Man könnte auch einfach woanders hingehen«, sagte Karen.
»Genau das haben die Mennoniten getan«, sagte ihre Großmutter. »Das Problem ist nur, was macht man, wenn es kein woanders mehr gibt? Gib mir darauf eine Antwort, sag ich immer zu ihm!« Ihre Großmutter sprach oft vom Großvater, als wäre er noch am Leben – »Er liebt einen guten Braten«, oder »Er geht nie den einfachsten Weg.« Karen fing an, sich zu fragen, ob er nicht vielleicht tatsächlich noch am Leben war, auf irgendeine Weise. Falls er sich irgendwo aufhielt, dann auf jeden Fall im vorderen Wohnzimmer.
Vielleicht war das der Grund dafür, daß sie das vordere Wohnzimmer nie benutzten, nur das hintere. Sie saßen oft in diesem hinteren Wohnzimmer, und Karens Großmutter strickte, ein buntes Wollquadrat nach dem anderen, und sie hörten Radio, meistens die Nachrichten und den Wetterbericht. Karens Großmutter wußte gerne, ob es regnen würde, obwohl sie sagte, sie wisse es besser als das Radio, sie könne den Regen in den Knochen spüren. Jeden Nachmittag schlief sie dort ein, auf dem Sofa, eingewickelt in eine der fertigen Flickendecken, ihre Zähne in einem Glas Wasser, während das Schwein und die beiden Hunde aufpaßten. Morgens war sie energisch und fröhlich; sie pfiff, sie redete mit Karen und sagte ihr, was sie tun sollte, weil es eine richtige und eine falsche Art gab, Dinge zu tun. Aber an den Nachmittagen, nach dem Essen, wurde sie müde und fing an zu gähnen, und dann sagte sie, sie würde sich eine Minute hinsetzen.
Es gefiel Karen nicht, wach zu sein, während ihre Großmutter schlief. Es war der einzige Teil des Tages, der ihr angst machte. Den Rest der
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