Die Räuberbraut
Verstohlen verfütterte sie Teile ihres Essens an das Schwein, und an die zwei Hunde, die unter dem Tisch lagen. Ihre Großmutter sah es, sagte aber nichts, also wußte Karen, daß es in Ordnung war.
Ihre Mutter kam zum Essen herunter, immer noch in dem beigen Kleid, mit frisch gewaschenem Gesicht und frisch angemaltem Mund und grimmig zusammengepreßten Lippen. Karen kannte diesen Ausdruck: er bedeutete, daß ihre Mutter das hier durchstehen würde, sonst. Sonst was? Sonst würde es nicht so gut aussehen, für Karen.
»Mutter, sind keine Servietten da?« sagte Karens Mutter. Ihr Mund verzog sich dabei zu einem abrupten Lächeln, so als würde er an den Winkeln von Schnüren hochgezogen.
»Keine was?« sagte die Großmutter.
»Ser-vi-etten«, sagte ihre Mutter.
»La-di-da, Gloria, nimm deinen Ärmel«, sagte die Großmutter.
Karens Mutter sah Karen an und zog die Nase kraus. »Siehst du irgendwelche Ärmel?« sagte sie. Sie hatte ihre Jacke ausgezogen, und deshalb waren ihre Arme nackt. Sie hatte beschlossen, es mit einer neuen Strategie zu versuchen: sie hatte beschlossen, daß sie und Karen die Großmutter komisch finden würden.
Die Großmutter sah den Blick und runzelte die Stirn. »Sie sind in der Schublade im Schrank, wo sie immer waren«, sagte sie. »Ich bin keine Wilde, aber das hier ist kein Festbankett. Wer welche will, kann sie sich holen.«
Als Nachtisch gab es Apfelmus, und danach starken Tee mit Milch. Die Großmutter gab Karen eine Tasse, und Karens Mutter sagte: »O Mutter, sie trinkt keinen Tee«, und die Großmutter sagte: »Ab jetzt schon.« Karen dachte, daß es Streit geben würde, aber ihre Großmutter fügte hinzu: »Wenn du sie bei mir läßt, läßt du sie bei mir. Aber wenn du willst, kannst du sie natürlich wieder mitnehmen.« Karens Mutter machte den Mund fest zu.
Als Karens Großmutter mit dem Essen fertig war, scharrte sie die Hühnerknochen von den Tellern zurück in den Topf und stellte die Teller auf den Boden. Die Tiere drängten sich schlabbernd und schmatzend um sie herum.
»Nicht von den Tellern«, sagte Karens Mutter mit schwacher Stimme.
»Weniger Bazillen auf ihren Zungen als auf denen von Menschen«, sagte die Großmutter.
»Du bist verrückt, weißt du das?« sagte Karens Mutter mit erstickter Stimme. »Du gehörst eingesperrt!« Sie schlug die Hand vor den Mund und lief aus dem Haus. Die Großmutter sah ihr nach. Dann zuckte sie die Schultern und trank ihren Tee.
»Es gibt innen sauber und außen sauber«, sagte sie. »Innen sauber ist besser, aber Gloria hat den Unterschied noch nie gekannt.«
Karen wußte nicht, was sie tun sollte. Sie dachte an ihren Magen, mit dem Sabber von Tieren und den Bazillen von Hunden und Schweinen drin; aber komischerweise wurde ihr nicht schlecht.
Als Karen später nach oben ging, hörte sie ihre Mutter weinen, ein Geräusch, das sie schon viele Male gehört hatte. Sie ging vorsichtig in das Schlafzimmer, aus dem das Geräusch kam. Ihre Mutter saß auf der Bettkante und sah verzweifelter aus, als Karen sie je gesehen hatte. »Sie war nie eine richtige Mutter«, schluchzte sie. »Nie!«
Sie drückte Karen fest an sich und weinte in ihre Haare, und Karen fragte sich, was sie damit meinte.
Karens Mutter reiste am nächsten Tag ab, noch vor dem Frühstück. Sie sagte, sie müsse zurück in die Stadt, sie habe einen Termin beim Arzt. Karens Großmutter fuhr sie zum Bahnhof, und Karen fuhr mit, um sich zu verabschieden. Sie trug ihre langen Hosen, wegen ihrer Beine, die wieder wehtaten. Ihre Mutter hielt den ganzen Weg zum Bahnhof den Arm um Karens Schultern gelegt.
Bevor die Großmutter den Lastwagen startete, ließ sie die Gänse aus ihrem Stall. »Es sind Wachgänse«, sagte sie. »Sie und Cully kümmern sich um alles. Wenn jemand versucht, hier einzubrechen, schmeißt Cully ihn um, und die Gänse picken ihm die Augen aus. Hiergeblieben, Cully. Komm, Glenn.« Sie fuhr genauso schnell wie gestern, fast mitten auf der Straße, aber dieses Mal pfiff sie nicht.
Als es Zeit war, sich auf dem Bahnhof zu verabschieden, küßte Karens Mutter Karen auf die Wange und drückte sie fest an sich und sagte, daß sie sie liebe, und trug ihr auf, ein braves Mädchen zu sein. Die Großmutter küßte sie nicht. Sie sagte ihr nicht einmal auf Wiedersehen. Karen beobachtete das Gesicht der Großmutter: es war so verschlossen wie eine Schachtel.
Karen wollte warten, bis der Zug sich in Bewegung setzte, also warteten sie. Ihre Mutter winkte
Weitere Kostenlose Bücher