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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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einem Betonkabuff in Virginia, und wenn er sich mit ihr in Verbindung setzen will, wird er es tun. Briefeschreiben ist nämlich erlaubt. Und wenn er nicht entführt, sondern von Zenia gekrallt wurde, wird er Charis nicht sehen wollen. Weil er ein zu schlechtes Gewissen haben wird.
    Tony weiß das alles, weil Tony das alles selbst durchgemacht hat: es ist, als stünde Billy unter einem Bann. Aber Zenia wird nicht lange mit Billy zufrieden sein. Er ist ein viel zu kleiner Fisch, und – Charis wird bitte entschuldigen, daß Tony das sagt – er hat sich zu leicht fangen lassen. Tony hat viel über Zenia nachgedacht und ist zu dem Schluß gekommen, daß Zenia Herausforderungen liebt. Sie liebt es, irgendwo einzubrechen, sie liebt es, sich Dinge zu nehmen, die ihr nicht gehören. Genau wie West war auch Billy nur eine Zielübung für sie. Wahrscheinlich hat sie schon eine ganze Kollektion von Männerschwänzen an der Wand hängen, wie ausgestopfte Tierköpfe.
    »Wenn du ihn in Ruhe läßt, wird er schwanzwedelnd nach Hause zurückgelaufen kommen«, sagt Tony. »Das heißt, falls er noch einen Schwanz hat, wenn Zenia mit ihm fertig ist.«
    Charis ist erstaunt über die Leichtigkeit, mit der Tony Feindseligkeit ausdrückt. Es kann nicht gut für sie sein. Aber es ist unleugbar ein Trost.
    »Und wenn nicht?« sagt Charis. »Und wenn er nicht zurückkommt?« Sie schnüffelt immer noch. Tony kramt unter dem Spülbecken herum und findet ein Papierhandtuch für sie.
    Tony zuckt die Schultern. »Dann kommt er eben nicht. Es gibt andere Dinge zu tun.«
    »Aber warum hat sie meine Hühner ermordet?« sagt Charis. Egal aus welchem Blickwinkel sie das betrachtet, es will ihr einfach nicht in den Kopf. Die Hühner waren wundervoll, sie waren unschuldig, sie hatten nichts mit dem Diebstahl von Billy zu tun.
    »Weil sie Zenia ist«, sagt Tony. »Zerbrich dir nicht den Kopf über Motive. Attila, der Hunne, hatte auch keine Motive. Er hatte einfach nur Gelüste. Sie hat sie umgebracht. Das spricht für sich.«
    »Vielleicht lag es daran, daß ihre Mutter von den Rumänen zu Tode gesteinigt wurde, weil sie eine Zigeunerin war«, sagt Charis.
    »Eine was?« sagt Tony. »Nein, das war sie nicht! Sie war eine Weißrussin im Exil. Sie starb in Paris, an Tuberkulose!«
    Dann fängt Tony an zu lachen. Sie lacht und lacht. »Was?« sagt Charis, verwirrt. »Was ist denn?«
     
    Tony kocht Charis einen Tee und sagt, sie soll sich ein bißchen ausruhen. Sie muß jetzt auf ihre Gesundheit achten, sagt Tony, weil sie eine werdende Mutter ist. Sie wickelt Charis in eine Decke, und Charis liegt auf dem Wohnzimmersofa. Sie fühlt sich schläfrig und behütet, als seien ihr die Dinge aus der Hand genommen.
    Tony schnappt sich ein paar Müllsäcke aus Plastik – Charis weiß, daß Plastik schlecht ist, aber sie hat keine Alternative gefunden –, geht nach draußen und sammelt die toten Hühner ein. Sie fegt das Hühnerhaus aus. Sie füllt einen Eimer mit Wasser und tut, was sie kann, um das Blut wegzukriegen.
    »Da ist ein Schlauch«, sagt Charis schläfrig.
    »Ich glaub, ich hab das meiste wegbekommen«, sagt Tony. »Was hatte das Brotmesser im Garten zu suchen?«
    Charis erklärt ihr die Sache mit den Pulsadern, und Tony schimpft nicht. Sie sagt nur, daß Brotmesser keine gangbare Lösung sind und wäscht es ab und steckt es zurück in den Ständer.
    Als Charis sich ausgeruht hat, setzt Tony sie wieder an den Küchentisch. Sie nimmt ein Blatt Papier und einen Kugelschreiber. »Und jetzt überleg dir, was du alles brauchst«, sagt sie. »Alles, was mit praktischen Dingen zu tun hat.«
    Charis überlegt. Sie braucht weiße Farbe für das Kinderzimmer; sie braucht eine Isolierung für das Haus, weil nach dem Sommer wieder ein Winter kommen wird. Sie braucht ein paar weite Kleider. Aber sie kann sich nichts von all dem leisten. Da Billy und Zenia all ihre Vorräte aufgegessen haben, hat sie nichts sparen können. Vielleicht wird sie sich bei der Wohlfahrt melden müssen.
    »Geld«, sagt sie langsam. Sie haßt es, das zu sagen. Sie will nicht, daß Tony denkt, sie bettelt.
    »Gut. Und jetzt laß uns überlegen, wie du an welches rankommst.«
     
    Mit Hilfe ihrer Freundin Roz, an die Charis sich aus der Zeit der McClung Hall dunkel erinnert, findet Tony einen Anwalt für Charis, und der Anwalt knöpft sich Onkel Vern vor. Er lebt noch, Tante Viola nicht. Er lebt noch in dem Haus mit den Teppichböden und dem Hobbyraum. Charis muß nicht einmal hinfahren und

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