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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Aktenablage haperte, stimmte der ganze Laden nicht; und man mußte wissen, wie diese Arbeiten getan wurden, damit man beurteilen konnte, ob andere Leute sie richtig taten oder nicht. Eine Lektion, die Roz im Laufe der Jahre gute Dienste leistete.
    Sie lernte tatsächlich eine Menge. Sie beobachtete den Stil ihres Vaters. Unverschämt, aber effektiv, weich, aber hart, zum Schreien komisch, aber unter der Oberfläche todernst. Er wartete auf den richtigen Augenblick, er wartete wie eine Katze auf dem Rasen; dann sprang er. Er liebte knallharte Verhandlungen, er liebte knallharte Bedingungen. Knallhart, ein Wort, das ihm gefiel. Er liebte das Risiko, er liebte es, hart am Abgrund entlangzuschlittern. Ganze Straßenzüge verschwanden in seiner Tasche und kamen wie durch einen Zauber in Bürogebäude verwandelt wieder zum Vorschein. Wenn er ein Gebäude renovieren konnte – wenn es etwas gab, das erhaltenswert war – erhielt er es. Wenn nicht, kam die Abrißbirne, egal was für Grüppchen rührseliger Demonstranten mit ihren selbstgebastelten, an Besenstiele genagelten Rettet-diese-Straße-Schildern draußen herummarschierten.
    Roz hatte ein paar eigene Ideen. Sie wußte, daß sie ihre Sache gut machen würde, wenn ihr Vater ihr freie Hand ließe. Aber bei ihm wurde freie Hand nicht gelassen, sie mußte verdient werden, und deshalb wartete sie ab.
     
    Und was war unterdessen mit ihrem Liebesleben? Es gab niemanden. Niemanden, der geeignet gewesen wäre. Nicht einmal annähernd. Niemand, der nicht entweder ein Trottel oder aber hinter ihrem Geld her war, ein Faktor, den sie nicht außer acht lassen durfte. Hinter ihrem zukünftigen Geld, denn im Augenblick bekam sie genau wie alle anderen nur ein Gehalt, und dazu ein ziemlich mickriges. Ihr Vater war der Meinung, man müsse wissen, wie mickrig genau ein mickriges Gehalt war, damit man sich vorstellen konnte, worum es bei einer Verhandlung um eine Gehaltserhöhung überhaupt ging. Er fand, man müsse wissen, wieviel ein Pfund Kartoffeln kostete. Roz wußte es nicht, weil sie wegen ihres mickrigen Gehalts immer noch zu Hause lebte. Sie hatte sich ein paar Studioappartements angesehen, ein einziges Zimmer mit einer winzigen, in eine Ecke gezwängten Kochnische und Blick ins Badezimmer der Nachbarn, wirklich zu trostlos! Welchen Preis hatte die Freiheit? Einen höheren, als was sie damals verdiente. Da blieb sie schon lieber, wo sie war, in der Dienstbotenwohnung über der Drei-Wagen- Garage ihrer Eltern und gab ihr mickriges Gehalt für Kleider und ein eigenes Telefon aus.
    Sie wäre gerne nach Europa gefahren, allein, aber ihr Vater ließ sie nicht. Er sagte, es sei zu gefährlich. »Du brauchst nicht zu wissen, was da drüben vor sich geht«, sagte er. Er wollte sie im Schutz der Mauer seines Geldes halten. Er wollte sie in Sicherheit halten.
    Mitch war Junganwalt in der Firma, die die Verträge ihres Vaters ausarbeitete. Das erste Mal sah sie ihn in dem Vorzimmer, in dem sie saß und sich die Finger blutig schuftete. Er trug einen Anzug und einen Aktenkoffer, der letzte in der fast täglichen Anzug-und-Aktenkoffer-Parade, die ihrem Vater folgte wie ein Rattenschwanz. Es gab einen kurzen Aufenthalt an Roz’ Schreibtisch, ein allgemeines Händeschütteln: Roz’ Vater hatte die Angewohnheit, jeden jedem vorzustellen. Mitch gab Roz die Hand, und Roz’ Hand zitterte. Ein einziger Blick auf ihn, und sie dachte: Es gibt Häßliche, es gibt Wundervolle, und es gibt die dazwischen. Der hier ist wundervoll. Dann dachte sie: Träum schön weiter, Baby. Sabber dein Kopfkissen voll. Der hier ist nicht für dich.
    Aber sie wollte verflixt sein, wenn der Kerl nicht anrief! Man mußte kein Einstein sein, um an ihre Telefonnummer ranzukommen, aber man mußte schon mehr als einen Schritt machen, da Roz unter dem Namen Rosie O’Grady im Telefonbuch stand, weil sie die Haßanrufe satt hatte, die der Name ihres Vaters manchmal auf sich zog. Die großen Anschlagtafeln an den Abrißhäusern verhinderten das nicht gerade. Grunwald-Bauvorhaben in fußhohen Lettern, Roz hätte genausogut mit einem roten X auf der Stirn herumlaufen können – Spucken Sie bitte hierhin –, wie sich unter ihrem richtigen Namen ins Telefonbuch eintragen lassen.
    Und dann war plötzlich Mitch am Telefon, zurückhaltend, aber überzeugend, mit einer Stimme, die klang, als wollte er ihr eine Lebensversicherung verkaufen. Er erinnerte sie daran, wo sie ihn kennengelernt hatte, als ob sie erinnert werden müßte,

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