Die Räuberbraut
Jesus oder den Heiligen Geist ansieht; sie tut ihm sein Essen auf und stellt den Teller vor ihn wie eine Opfergabe.
Und für Roz gibt es jetzt nicht weniger zu tun, sondern mehr, weil es jetzt drei statt nur zwei Teller gibt, es gibt jetzt drei von allem, und Roz’ Vater muß nie helfen. »Hilf deiner Mutter«, sagt er zu Roz. »In dieser Familie hilft man sich gegenseitig«, aber Roz sieht nie, daß er hilft. Roz ertappt die beiden, wie sie sich in der Küche umarmen und küssen, zwei Tage nach der Ankunft ihres Vaters, er hat seine mächtigen Bärenarme um ihre dünne, eckige Mutter geschlungen, und Roz ist wütend auf ihre Mutter, weil sie so weich ist, und sie ist bekümmert und eifersüchtig und erfüllt vom Zorn des Ausgeschlossenseins.
Um ihre Mutter für diesen Verrat zu bestrafen, wendet Roz sich von ihr ab. Sie wendet sich den Onkeln zu, wenn sie da sind, und auch, und insbesondere, ihrem Vater. »Komm und setz dich auf Papas Schoß«, sagt er. Und sie tut es, und sieht von diesem sicheren Platz zu ihrer Mutter hinüber, die genauso schwer arbeitet wie immer, sich über den Spülstein beugt, oder vor dem Backofen kniet. »Mach dich nützlich«, faucht ihre Mutter sie an, und früher hätte Roz gehorcht. Aber jetzt halten die Arme ihres Vaters sie fest. »Ich hab sie so lange nicht gesehen«, sagt er. Und ihre Mutter beißt sich auf die Lippen und sagt nichts, und Roz sieht sie mit triumphierender Schadenfreude an und denkt, das geschieht ihr recht.
Aber wenn ihr Vater nicht da ist, muß sie arbeiten, genau wie immer. Sie muß schrubben und putzen. Wenn sie es nicht tut, sagt ihre Mutter, daß sie ein verzogenes Gör ist. »Wer war letztes Jahr dein Dienstmädchen?« höhnt sie. »Sieh dir meine Hände an!«
Die Onkel ziehen zu ihnen ins Haus. Sie sind jeden Abend zum Essen dagewesen, aber jetzt ziehen sie zu ihnen ins Haus. Sie wohnen im Keller. Sie haben dort unten zwei Betten, zwei Armeepritschen und zwei Armeeschlafsäcke.
»Nur bis sie auf eigenen Beinen stehen«, sagt Roz’ Vater. »Nur bis das Schiff kommt.«
»Welches Schiff?« sagt Roz’ Mutter. »Das wird mir ein schöner frostiger Freitag sein, an dem ein Schiff von ihnen irgendwo ankommt.« Aber sie sagt es nachsichtig, und sie kocht für sie und fordert sie auf, noch einmal zuzugreifen, und wäscht ihre Bettwäsche und sagt kein Wort über das Rauchen und das Trinken, das unten im Keller vor sich geht und von lautem Lachen begleitet wird, das die Kellertreppe heraufdringt. Die Onkel müssen auch nicht helfen. Wenn Roz fragt, wieso nicht, sagt ihre Mutter, daß sie ihrem Vater das Leben gerettet haben, im Krieg.
»Wir haben uns gegenseitig das Leben gerettet«, sagt Onkel George. »Ich hab Joe das Leben gerettet, Joe hat deinem Vater das Leben gerettet, und dein Vater mir.«
»Sie haben uns nie erwischt«, sagt Onkel Joe. »Kein einziges Mal.«
»Dummkopf. Wenn sie uns erwischt hätten, wären wir nicht hier«, sagt Onkel George.
Aggie hat die Mieter nicht mehr im Griff, weil jetzt nicht mehr für alle dieselben Regeln gelten. Dazu kommt, daß die Onkel keine Miete bezahlen und die Haustür zuknallen, wenn sie kommen oder gehen. Es gibt Orte, die sie aufsuchen müssen, Dinge, die sie erledigen müssen. Ungenannte Orte, unbekannte Dinge. Es gibt Freunde, die sie treffen müssen, einen Freund aus New York, einen Freund aus der Schweiz, einen Freund aus Deutschland. Sie haben in New r York gelebt, und in London, und in Paris. An anderen Orten auch. Sie sprechen voller Wehmut von Bars und Hotels und Rennbahnen in Dutzenden von Städten.
Miss Hines beklagt sich über den Lärm, den sie machen: müssen sie denn ständig so laut schreien, und dazu noch in fremden Sprachen? Aber Mrs. Morley scherzt mit ihnen herum, und trinkt manchmal ein Gläschen mit ihnen, wenn Roz’ Vater zu Hause ist und alle in der Küche sitzen. Sie kommt in ihren hochhackigen Schuhen die Treppe heruntergetänzelt und läßt ihre Armbänder klirren und sagt, daß sie nichts gegen ein Tröpfchen einzuwenden hat, hin und wieder.
»Sie kann ganz schön was vertragen«, sagt Onkel Joe.
»Sie ist eine Puppe«, sagt Onkel George.
»Was ist eine Puppe?« sagt Roz.
»Es gibt Damen, es gibt Frauen, und es gibt Puppen«, sagt Onkel George. »Deine Mutter ist eine Dame. Die da, die ist eine Puppe.«
Mr. Carruthers weiß, daß im Keller getrunken wird, und in der Küche. Er kann den Rauch riechen. Er selbst darf in seinem eigenen Zimmer immer noch nicht
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