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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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das nicht. Er ist unnatürlich still und behandelt Roz’ Mutter ehrerbietig, aber er umarmt sie nicht und gibt ihr auch keinen Kuß. Zum ersten Mal seit seiner Rückkehr scheint er fast Angst vor ihr zu haben.
    »Hier ist die Miete«, sagt er und legt ein Häufchen Geld auf den Tisch.
    »Glaub bloß nicht, daß du dich damit freikaufen kannst«, sagt Roz’ Mutter. »Dich und diese Schlampe! Es ist Schweigegeld. Ich werd keinen dreckigen Cent davon anrühren.«
    »Es ist nicht von ihr«, sagt Roz’ Vater. »Ich hab’s beim Pokern gewonnen.«
    »Wie konntest du nur?« sagt Roz’ Mutter. »Nach allem, was ich für dich getan habe! Sieh dir meine Hände an!«
    »Sie hat geweint«, sagt Roz’ Vater, als würde das alles erklären.
    »Geweint!« sagt Roz’ Mutter voller Verachtung, als würde sie selbst niemals etwas so Erniedrigendes tun. »Krokodilstränen! Sie ist eine männerfressende Schlampe!«
    »Sie hat mir leid getan«, sagt Roz’ Vater. »Sie hat sich mir in die Arme geworfen. Was hätte ich denn tun sollen?«
    Roz’ Mutter dreht ihm den Rücken zu. Sie beugt sich über den Herd und tut den Eintopf auf die Teller, wobei sie laut mit dem Löffel gegen den Topf klappert, und schweigt das ganze Essen hindurch vor sich hin. Zuerst rührt Roz’ Vater sein Essen kaum an – Roz kennt das Gefühl, eine Mischung aus Nervosität und Schuld –, aber Roz’ Mutter funkelt ihn wütend an und deutet auf seinen Teller, was bedeutet, daß er, wenn er nicht ißt, was sie ihr ganzes Leben lang für ihn gekocht hat, noch mehr Ärger bekommen wird. Als sie gerade nicht hinsieht, lächelt Roz’ Vater Roz an und zwinkert ihr zu, und da weiß sie, daß alles – sein elendes Aussehen, sein Armesündergebaren -  nur gespielt ist, zum Teil zumindest, und es ihm im Grunde genommen gar nicht schlecht geht.
    Das Geld bleibt auf dem Tisch liegen. Roz beäugt es: sie hat noch nie soviel Geld auf einem Haufen gesehen. Sie würde gerne fragen, ob sie es haben kann, da anscheinend keiner der beiden es haben will, aber während sie die Teller abräumt – »Hilf deiner Mutter«, sagt ihr Vater –, ist es plötzlich verschwunden. Einer von ihnen hat es eingesteckt, das weiß sie, aber wer? Ihre Mutter, vermutet sie – in ihre Schürzentasche, denn in den folgenden Tagen wird sie allmählich weich und spricht wieder mehr, und das Leben geht wieder seinen normalen Gang.
    Mrs. Morley jedoch wird nie wieder gesehen. Ihre Kleider und Schuhe auch nicht.
    »Eine Puppe, wie ich gesagt hab«, sagt Onkel George. »Dein Vater hat eine starke Schwäche.«
    »Er hätte gescheiter die Tür zugemacht«, sagt Onkel Joe.
     
    Ein paar Jahre später, als Roz ein Teenager war und Freundinnen hatte, von denen sie das eine oder andere lernen konnte, reimte sie sich die Geschichte zusammen: Mrs. Morley war die Geliebte ihres Vaters gewesen. Sie hatte in ihren Kriminalromanen von Geliebten gelesen. Geliebte war der Ausdruck, den sie bevorzugte, weil er gehobener klang als die anderen Worte, die ihr inzwischen zur Verfügung standen: »Flittchen«, »Hure«, »Nutte«. Diese Worte implizierten nur gespreizte Beine, und dazu noch dicke, schwabbelige Beine – kraftlose Beine, Beine, die nichts anderes konnten als herumliegen, käufliche Beine –, und Gerüche, und zufälliges Sich-Paaren, und sexuellen Glitsch. Wohingegen Geliebte auf eine gewisse Eleganz hindeutete, eine teure Garderobe, eine stilvolle Wohnung, und auf das Können und das Geschick und die Schönheit, die erforderlich waren, um all diese Dinge zu bekommen.
    Mrs. Morley hatte weder die Wohnung noch die Eleganz besessen, und ihre Schönheit war eine Frage des Geschmacks gewesen, aber immerhin hatte sie die Kleider gehabt, und Roz wollte im Zweifelsfall zugunsten ihres Vaters entscheiden: er hätte sich nicht mit jedem x-beliebigen Flittchen abgegeben. Sie wollte stolz auf ihn sein. Sie wußte, daß ihre Mutter recht und ihr Vater unrecht hatte; sie wußte, daß ihre Mutter tugendhaft gewesen war und sich die Finger wundgearbeitet und sich die Hände ruiniert und nur Undank geerntet hatte. Aber es war ein Undank, den Roz teilte. Vielleicht war ihr Vater ein Schurke, aber er war derjenige, den sie liebte.
     
    Mrs. Morley war nicht die einzige Geliebte. Es gab noch andere im Laufe der Jahre: liebenswürdige, sentimentale, weiche, träge Frauen, die ganz gerne einmal ein Gläschen tranken und eine Schwäche für rührselige Filme hatten. Als Roz älter wurde, erahnte sie ihre Existenz

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