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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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daß du russischer Herkunft bist«, sagt sie. »Daß du in Paris eine Kinderprostituierte warst. Und Charis sagt, deine Mutter war eine Zigeunerin und wurde von rumänischen Bauern zu Tode gesteinigt.«
    »Charis?« sagt Zenia.
    »Früher hieß sie Karen«, sagt Roz. »Du hast bei ihr auf der Insel gelebt. Du hast ihr erzählt, du hättest Krebs«, fügt sie, gnadenlos weiterdrängend, hinzu.
    Zenia sieht aus dem Fenster und nippt an ihrem Martiniglas. »Ach ja, Charis«, sagt sie. »Ich muß gestehen, daß ich ein paar gräßliche - ich hab nicht immer die Wahrheit gesagt, als ich jünger war. Ich glaub, ich war emotional gestört. Als meine Tante gestorben war, hatte ich es ziemlich schwer. Sie hatte nichts, kein Geld; wir haben immer in irgendwelchen billigen Absteigen direkt über irgendwelchen Läden gelebt. Und als sie dann tot war, gab es niemanden mehr, der mir half. Das war in den Fünfzigern, in Waterloo. Keine gute Zeit und kein guter Ort für Waisen, die nicht dazugehörten.
    Aber ein Teil von dem, was ich Tony erzählt hab, stimmt. Ich hab tatsächlich als Nutte gearbeitet. Und ich wollte keine Jüdin sein, ich wollte überhaupt nichts mit dieser ganzen Geschichte zu tun haben. Wahrscheinlich wollte ich einfach vor der Vergangenheit davonlaufen. Aber das war damals, und heute ist heute, richtig 7 Ich hab mir sogar die Nase operieren lassen, nachdem ich nach England gegangen war und einen Job bei einer Zeitschrift gefunden hatte und es mir leisten konnte. Wahrscheinlich schämte ich mich. Wenn einem so etwas angetan wird, schämt man sich mehr, als wenn man es selbst anderen Leuten angetan hätte. Man denkt, vielleicht hat man es verdient; oder daß man hätte stärker sein müssen, daß man sich hätte wehren müssen, ich weiß auch nicht. Man fühlt sich – na ja, zerschlagen.
    Deshalb hab ich mir eine andere Vergangenheit für mich ausgedacht – es war besser, eine Weißrussin zu sein. Verdrängung, nennt man das, glaub ich. Ich hab einmal mit einem Weißrussen zusammengelebt, als ich sechzehn war, deshalb wußte ich ein bißchen was über sie.
    Bei Karen – Charis – muß ich eine Art Nervenzusammenbruch gehabt haben. Ich mußte einfach bemuttert werden; mein Therapeut sagt, es kommt daher, daß meine eigene Mutter mir weggenommen worden ist. Ich hätte natürlich nicht sagen dürfen, daß ich Krebs hatte, weil ich tatsächlich keinen hatte. Aber ich war krank, krank auf eine andere Art. Karen hat wahre Wunder an mir vollbracht.
    Es war nicht gut – es war wahrscheinlich schrecklich, all diese Geschichten zu erzählen, ich sollte mich wirklich bei den beiden entschuldigen. Aber ich glaub nicht, daß ich ihnen die wahre Geschichte hätte erzählen können, das, was mir wirklich passiert war. Sie hätten es nicht verstanden.«
    Sie sieht Roz lange an, mit ihren ausdrucksvollen, indigoblauen Augen, und Roz ist gerührt. Sie, Roz, sie allein, wurde auserwählt, sie allein kann verstehen. Und das tut sie, das tut sie.
    »Nachdem ich Kanada verlassen hatte«, sagt Zenia, »wurde alles noch schlimmer. Ich hatte große Ideen, aber niemand schien sie zu teilen. Dazu noch mein Aussehen. Wenn man so aussieht, wie ich aussehe, sehen die Männer einen nicht als Person, sie sehen einen nur als Körper, und dann siehst du selbst auch nichts anderes. Du siehst deinen Körper als eine Art Werkzeug, etwas, das man benutzen kann. Gott, ich hab die Männer so satt] Es ist so leicht, sie zufriedenzustellen. Wenn man sie auf sich aufmerksam machen will, braucht man sich nur auszuziehen. Nach einer Weile sehnt man sich nach ein bißchen mehr Herausforderung, verstehst du?
    Etwa ein Jahr lang hab ich als Stripperin gearbeitet – damals hab ich mir auch die Brüste vergrößern lassen – der Mann, mit dem ich damals zusammenlebte, hat dafür bezahlt –, und mir ein paar üble Gewohnheiten zugelegt. Zuerst Koks, dann Heroin. Es ist ein Wunder, daß ich nicht tot bin. Vielleicht wollte ich sterben, wegen meiner Familie. Eigentlich sollte man meinen, daß es nicht wehtun kann, wo ich sie doch gar nicht gekannt habe. Aber es ist, als wäre man mit einem fehlenden Bein auf die Welt gekommen. Da ist diese schreckliche Abwesenheit. Ich hab lange gebraucht, aber jetzt bin ich endlich mit mir selbst im reinen. Ich hab mich durchgearbeitet. Ich war jahrelang in therapeutischer Behandlung. Es war verdammt schwer, aber jetzt weiß ich, wer ich bin.«
     
    Roz ist beeindruckt. Zenia hat keine Ausflüchte gemacht, sie hat nicht

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