Die Räuberbraut
Carleton kommen lassen, oder Shrimpsbällchen und Knoblauchbohnen und gebackenes Wan-Tan aus ihrem bevorzugten Sezuan-Restaurant in der Spadlna, oder beides: ein sündhaftes, kleines multikulturelles Gelage veranstalten. Aber Charis ist sicher schon wieder auf der Insel, und es ist schon dunkel, und der Gedanke, daß Charis nachts alleine unterwegs ist, gefällt ihr gar nicht, sie könnte überfallen werden, sie ist ein so offensichtliches Ziel, eine langhaarige Frau in mittleren Jahren, die umwallt von Schichten aus bedruckten Stoffen herumwandert und ständig mit irgendwelchen Sachen zusammenstößt, sie könnte sich genausogut ein Schild mit Klaut mir ruhig die Handtasche umhängen, und Roz kann sie nur selten dazu überreden, ein Taxi zu nehmen, selbst wenn sie sagt, daß sie es bezahlen wird, weil Charis es auch mit der Benzinvergeudung hat. Sie wird den Bus nehmen; oder, schlimmer noch, sie könnte auf die Idee kommen, zu Fuß zu gehen, quer durch die Wildnis von Rosedale, vorbei an den Reihen pseudogeorgianischer Herrenhäuser, und von der Polizei als Streunerin aufgegriffen werden.
Und was Tony angeht, so ist sie sicher zu Hause in ihrer turmbewehrten Festung und macht das Abendessen für West, irgendeinen Nudelauflauf aus der 1967 er Ausgabe von Die Freude des Kochens. Es ist schon komisch, daß Tony die einzige von ihnen ist, die tatsächlich einen Mann hat. Es ist Roz immer noch ein Rätsel: ausgerechnet die winzige Tony mit ihren Vogelkükenaugen und ihrem verkniffenen kleinen Lächeln und dem Sex-Appeal eines Feuermelders und mehr oder weniger auch denselben Proportionen. Aber die Liebe kommt nun einmal in den seltsamsten Schachteln, wie Roz Gelegenheit hatte zu lernen. Und vielleicht hat Zenia West damals einen derartigen Schrecken eingejagt, daß er es seitdem nie wieder gewagt hat, eine andere Frau auch nur anzusehen.
Roz denkt sehnsüchtig an den Eßtisch in Tonys Haus und kommt dann zu dem Schluß, daß sie nicht wirklich neidisch ist, weil der schlaksige, wunderliche, hohlwangige West nicht unbedingt ihrer Vorstellung von dem entspricht, was sie bei Tisch gerne als Gegenüber hätte. Statt dessen freut sie sich, daß Tony einen Mann hat, denn Tony ist ihre Freundin, und schließlich wünscht man sich, daß die Freunde, die man hat, glücklich sind. Den Feministinnen zufolge, denen in den Latzhosen, denen aus der Anfangszeit der Bewegung, war nur ein toter Mann ein guter Mann, oder, noch besser, überhaupt kein Mann; und doch wünscht Roz ihren Freundinnen auch weiterhin Freude an ihnen, diesen Männern, die angeblich so schlecht für einen sind. Ich hab jemanden kennengelernt, sagt eine Freundin, und Roz quietscht vor ehrlicher Freude. Vielleicht liegt es daran, daß ein guter Mann so schwer zu finden ist, und von daher ist es wirklich eine besondere Gelegenheit, wenn jemand tatsächlich einen findet. Aber es ist schwierig, es ist fast unmöglich, weil niemand mehr zu wissen scheint, was »ein guter Mann« ist. Nicht mal die Männer selbst.
Oder vielleicht liegt es daran, daß so viele gute Männer gefressen wurden, von männerfressenden Frauen wie Zenia. Die meisten Frauen mißbilligen Männerfresserinnen; nicht so sehr wegen der Aktivität an sich oder der damit verbundenen Promiskuität, sondern wegen der Gier, die dahintersteckt. Frauen wollen nicht, daß alle Männer von Männerfresserinnen aufgefressen werden; sie wollen, daß ein paar übrigbleiben, damit sie selbst sie fressen können.
Dies ist eine zynische Einstellung, die zu Tony passen würde, aber nicht zu Roz. Roz muß sich wenigstens einen Teil ihres Optimismus bewahren, weil sie ihn braucht; er ist ein psychisches Vitamin, er hält sie in Gang. »Wir werden ›die neue Frau‹ sein«, haben die Feministinnen immer gesagt. Aber wie lange wird es dauern, denkt Roz, und wieso ist es noch nicht passiert?
Derweil machen die Zenias dieser Welt das Land unsicher, betreiben ihr Handwerk, rauben männliche Taschen aus, befriedigen männliche Phantasien. Männliche Phantasien, männliche Phantasien, wird denn alles von männlichen Phantasien beherrscht? Rauf auf ein Podest oder runter auf die Knie, alles eine männliche Phantasie: daß man entweder stark genug ist, um einstecken zu können, was sie einem zumuten, oder zu schwach, um sich dagegen zu wehren. Selbst vorzugeben, man befriedige keine männliche Phantasie, ist eine männliche Phantasie: vorzugeben, man wäre unsichtbar, vorzugeben, man hätte ein eigenes Leben, man könnte
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