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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Autounfall«, sagt Paula. »Was ist das schmierige Zeugs überall auf deinem Gesicht?«
    »Es ist einfach nur mein Gesicht«, sagt Roz. »Es fällt ab.«
    Erin springt von ihrem Hocker und kommt zu ihr gelaufen. »Setz dich, Süße«, sagt sie, in einer Parodie von Roz in ihrer Mutterrolle. »Hast du vielleicht Temperatur? Laß mal deine Stirn fühlen.«
    Die beiden zerren sie durch die Küche und setzen sie auf einen Hocker. Sie machen ein Geschirrtuch naß und wischen damit an ihrem Gesicht herum – »Oooh, oh, oh, wie kann man sich nur so schmutzig machen!« Sie wissen genau, daß sie geweint hat, aber natürlich verlieren sie kein Wort darüber. Dann versuchen sie, ihr ihre Erdbeermilch einzuflößen, lachend und kichernd, weil es so komisch ist, ihre Mutter als großes Baby, sie selbst als Mütter. Wartet nur, denkt Roz. Wartet nur, bis ich wirklich nicht mehr richtig im Kopf bin und zu sabbern anfange und ihr plötzlich merkt, daß ihr das hier im Ernst machen müßt. Dann werdet ihr es nicht mehr so lustig finden.
    Aber was für eine Last er für die beiden sein muß, der kummervolle Zustand, in dem sie ist. Wer kann es ihnen verdenken, daß sie Clownsgesichter aufsetzen, um ihr eigenes Unglück zu überspielen. Es ist ein Trick, den sie von ihr gelernt haben. Es ist ein Trick, der funktioniert.

 
Das Toxique

50
    Tony spielt auf dem Klavier, aber es kommt keine Musik heraus. Ihre Füße können die Pedale nicht erreichen, ihre Hände können die Tasten nicht überspannen, aber sie spielt weiter, denn wenn sie aufhört, wird etwas Schreckliches passieren. Im Zimmer riecht es trocken und verbrannt, es ist der Geruch der Blumen auf den Chintzvorhängen. Es sind große, rosa Rosen, sie öffnen und schließen ihre Blüten, die jetzt wie Flammen sind; schon greifen sie auf die Tapete über. Es sind nicht die Blumen auf ihren eigenen Vorhängen, sie sind von woanders hierher gekommen, von einem Ort, an den Tony sich nicht erinnern kann.
    Ihre Mutter betritt das dunkler werdende Zimmer, die Absätze ihrer Schuhe klappern über den Fußboden, sie trägt den kastanienbraunen Hut mit dem getüpfelten Schleier. Sie setzt sich neben Tony auf die Klavierbank; ihr Gesicht schimmert im Halbdunkel, ihre Züge verschwimmen. Ihre lederne Hand, kühl wie Nebel, streift Tonys Gesicht, und Tony dreht sich um und klammert sich an sie, klammert sich verzweifelt an sie, weil sie weiß, was als nächstes passieren wird; aber ihre Mutter zieht ein Ei aus dem Ausschnitt ihres Kleides, ein Ei, das nach Seetang riecht. Wenn Tony dieses Ei haben und gut festhalten kann, wird der Brand im Haus aufhören, kann die Zukunft verhindert werden. Aber ihre Mutter hebt das Ei hoch in die Luft, hält es neckend hoch über ihren Kopf, und Tony ist nicht groß genug, um es zu erreichen. »Armes Ding, armes Ding«, sagt ihre Mutter; ihre Stimme ist wie das Gurren einer Taube, beruhigend und unerbittlich und unendlich trauervoll.
    Irgendwo, wo man sie nicht sehen kann, sind die Blüten außer Kontrolle geraten, und das Haus steht in Flammen. Wenn Tony den Flammen keinen Einhalt gebieten kann, wird alles, was einst war, verbrennen. Die nicht sichtbaren Flammen verursachen ein flatterndes Geräusch, wie das Aufplustern von Federn. Ein großer Mann steht in der Ecke. Es ist West, aber wieso hat er diese Kleider an, wieso sind seine Haare schwarz, wieso trägt er einen Hut? Neben ihm auf dem Boden steht ein Koffer. Er hebt ihn auf und öffnet ihn: er ist voller gespitzter Bleistifte. Remmi rüf, sagt er traurig; aber eigentlich meint er Lebewohl, denn Zenia steht in der Tür, eingehüllt in einen seidenen Schal mit langen Fransen. Am Hals hat sie einen graurosa verfärbten Schnitt, als wäre ihre Kehle durchgeschnitten; aber während Tony noch hinguckt, öffnet er sich, schließt sich dann feucht, und sie sieht, daß Zenia Kiemen hat.
    Aber West ist dabei zu gehen, er legt den Arm um Zenia, er wendet Tony den Rücken zu. Draußen wartet das Taxi, um die beiden zum schneeigen Hügel zu bringen.
    Tony muß sie aufhalten. Sie streckt noch einmal die Hand aus, und ihre Mutter legt das Ei hinein, aber das Ei ist jetzt zu heiß, wegen der Flammen, und Tony läßt es fallen. Es rollt auf eine Zeitung und zerbricht, und die Zeit fließt aus ihm heraus, naß und dunkelrot. Aus dem hinteren Teil des Hauses sind Schüsse zu hören, und marschierende Stiefel, und Rufe in einer fremden Sprache. Wo ist ihr Vater? Verzweifelt sieht sie sich nach ihm um, aber er ist

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