Die Räuberbraut
sich die Füße waschen und die Haare kämmen, ohne sich des allgegenwärtigen Beobachters bewußt zu sein, der durch das Schlüsselloch späht, durch das Schlüsselloch im eigenen Kopf, wenn nirgends sonst. Du bist eine Frau, die einen Mann im Kopf hat, der eine Frau beobachtet. Du bist dein eigener Voyeur. Die Zenias dieser Welt haben diese Situation erfaßt und zu ihrem eigenen Vorteil umgemünzt; sie haben sich nicht zu männlichen Phantasien umformen lassen, sie haben es selbst getan. Sie haben sich in Träume hineingemogelt; auch in die Träume von Frauen, denn Frauen sind auch Phantasien für andere Frauen, so wie sie Phantasien für die Männer sind. Aber Phantasien einer anderen Art.
Manchmal macht Roz sich selbst das Leben schwer. Es ist ihre Tugendhaftigkeit, die schuld daran ist, der Druck, der auf ihr lastet, der Druck, nett zu sein, moralisch zu sein, sich gut zu benehmen; es sind die Strahlen der Anständigkeit, der Gutmütigkeit, der gluckenden Mutterglucke, der Heiligenschein treugoldenen, gut-gütigen Wohlwollens um ihren Kopf. Es sind ihre guten Absichten. Wenn sie so verflixt tugendhaft ist, warum hat sie dann nicht mehr Spaß? Manchmal würde sie ihren hinderlichen Gute-Fee-Mantel am liebsten ab werfen, aufhören, auf Zehenspitzen zwischen all ihren Skrupeln herumzuschleichen, alle Hemmungen fallenlassen, und zwar nicht nur bei Kleinigkeiten, wie sie es jetzt tut – ein bißchen stummes Gefluche im Inneren ihres Kopfes, ein paar unfeine Ausdrücke - sondern etwas wirklich Großes. Irgendeine gewaltige, jubilierende, durch und durch verabscheuenswürdige Sünde.
Früher einmal hätte wahlloser Sex diese Voraussetzungen erfüllt, aber heutzutage hat schlichter Wald-und-Wiesen-Sex so gut wie überhaupt nichts mehr zu sagen, er ist nur noch eine Art Stimmungstherapie oder Gymnastik, sie müßte sich schon auf irgendwelche blutrünstigen Perversitäten verlegen. Oder auf etwas ganz anderes, etwas Abwegiges und Archaisches und Kompliziertes und Gemeines. Verführung gefolgt von anschließendem Giftmord. Verrat. Treulosigkeit. Lug und Trug.
Bloß würde sie dafür einen anderen Körper brauchen, das versteht sich von selbst, weil der, den sie hat, zu schwerfällig ist, zu unbeholfen ehrlich, und die Art von Bosheit, die ihr vorschwebt, würde Anmut und Grazie erfordern. Um wirklich bösartig zu sein, müßte sie dünner sein.
Spieglein, Spieglein an der Wand. Wer ist die Fieseste im ganzen Land?
Nimm ein paar Pfund ab, Zuckerpüppchen, dann kann ich vielleicht was für dich tun.
Oder vielleicht sollte sie sich statt dessen auf übermenschliche Güte verlegen? Härene Hemden, Stigmata, den Armen helfen, eine Art überdimensionale Mutter Teresa. Sankt Roz, klingt gut, obwohl Sankt Rosalind mehr Klasse hätte. Ein paar Dornen, ein oder zwei Körperteile auf einem Servierteller, um zu beweisen, wie sehr sie gemartert wurde: ein Auge, eine Hand, eine Brust, Brüste waren sehr beliebt, die alten Römer schienen eine Schwäche dafür zu haben, Frauen die Brüste abzuschneiden, wie Schönheitschirurgen. Sie kann sich selbst mit einem Heiligenschein sehen, eine kraftlose Hand aufs Herz gelegt, und dazu eine Kinnbinde, toll bei Doppelkinn, die Augen ekstatisch gen Himmel verdreht. Es sind die Extreme, die sie anziehen. Das extrem Gute, das extrem Böse: die erforderlichen Fähigkeiten sind einander ähnlich.
Wie auch immer, sie wäre gerne jemand anderes. Aber nicht einfach nur jemand anderes. Manchmal – einen Tag lang, oder auch nur eine Stunde, oder, wenn es gar nicht anders ginge, würden ihr auch fünf Minuten genügen – manchmal wäre sie gerne Zenia.Sie humpelt auf kribbelnden Füßen die Kellertreppe hinauf, Schritt für Schritt, hält sich am Geländer fest und fragt sich, ob sie sich so fühlen wird, wenn sie neunzig ist, sollte sie es je soweit bringen. Endlich hat sie es geschafft und öffnet die Tür. Hier ist die weiße Küche, genau so, wie sie sie verlassen hat. Sie hat das Gefühl, sehr lange weggewesen zu sein. Als wäre sie, verzaubert, in einem dunklen Wald mit seinen verwachsenen Bäumen umhergeirrt.
Die Zwillinge sitzen auf hohen Hockern an der Frühstücksbar. Sie tragen Shorts, und darunter Strumpfhosen, die in jedem Knie ein modisches Loch haben, und trinken Erdbeermilch aus hohen Gläsern. Rosa Schnurrbärte zieren ihre Oberlippen. Der tiefgekühlte Joghurtkarton taut neben der Spüle vor sich hin.
»Ach du liebes Bißchen, Mom, du siehst aus wie ein
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